Helene Dearing: Die Zeit der Elternkarenz muss gut bezahlt sein, vor allem wenn Väter das Angebot annehmen sollen, weil die oft noch die Hauptverdiener sind.

Foto: WU Wien

Helene Dearing "Journal of European Social Policy" (im Erscheinen begriffen).

Keinen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz gibt es in der Schweiz. Für die Geschlechtergerechtigkeit ist das nicht ideal.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie erforschen den Zusammenhang zwischen verschiedenen europäischen Elternkarenzmodellen und einer ausgewogenen Arbeitsaufteilung zwischen Männern und Frauen im Haushalt. Gibt es so etwas wie ein ideales Modell?

Helene Dearing: Zuerst einmal muss man sich die Frage stellen: Aus welcher Perspektive ideal? In diesem Fall aus der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit. Das heißt aber zum Beispiel nicht, dass ein solches Idealmodell auch das beste in Bezug auf Fertilität wäre.

STANDARD: Welche Faktoren spielen eine besonders wichtige Rolle?

Dearing: Drei: Die Dauer der Elternkarenz, das Ausmaß der finanziellen Unterstützung und die allein für die Väter reservierte Zeit.

STANDARD: Welche Dauer ist in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit günstig?

Dearing: Die Fachliteratur spricht von "mittlerer Dauer". Das können ein paar Monate bis ein paar Jahre sein, es gibt keine genaue Zahl, ungefähr zwischen zwölf und 24 Monaten werden in Studien genannt. Eindeutig ist: Diese Zeit muss gut bezahlt sein, vor allem wenn Väter das Angebot annehmen sollen, weil die oft noch die Hauptverdiener sind.

STANDARD: Sie haben den "Equal Gender Division of labour"-Indikator entwickelt. Wozu dient er, und wie funktioniert er?

Dearing: Es gibt in Europa sehr viele verschiedene Modelle, und es ist wahnsinnig komplex, diese bezüglich Dauer, Bezahlung und Flexibilität über 27 Länder hinweg zu vergleichen. Der Indikator zeigt den Grad der Übereinstimmung mit einem "idealen Modell", das mit 14 Monaten gutbezahlter Elternkarenz angesetzt wird, wobei die Hälfte für die Väter reserviert ist.

STANDARD: Dieses Modell wäre also das beste in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit?

Dearing: Das ist keine konkrete Politikempfehlung von mir, sondern eher eine von der Literatur abgeleitete Orientierung darüber, was wichtige Eckpunkte eines Modells sein könnten, das eine partnerschaftliche Arbeitsaufteilung fördert.

STANDARD: Welche Länder kommen diesem Idealmodell schon sehr nahe?

Dearing: Vorreiter sind Island, Schweden und Slowenien.

STANDARD: Slowenien?

Dearing: Ja, mit einer moderaten Karenzdauer von insgesamt 15 Monaten, davon sind drei Monate für die Väter reserviert. In Kombination mit der Tatsache, dass Eltern in Slowenien mit Ablaufen ihrer Karenzzeit automatisch einen Rechtsanspruch auf einen Vollzeit-Kinderbetreuungsplatz erwerben, ist das slowenische Modell in Hinblick auf die Förderung von Gleichstellung als vorbildlich zu sehen.

STANDARD: Wer sind die Schlusslichter?

Dearing: Slowakei, Ungarn und die Schweiz. In der Schweiz gibt es nur 3,2 Monate gut bezahlten Mutterschutz plus zwei Wochen unbezahlten Mutterschutz, gar keine Vaterkarenzzeit und keine Elternkarenz. In Kombination mit der Tatsache, dass es in der Schweiz überhaupt keinen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz gibt, auch nicht für ältere Kinder, ist das Schweizer Modell in Hinblick auf die Förderung von Gleichstellung als mangelhaft zu bezeichnen.

STANDARD: Wie steht Österreich da?

Dearing: Es gibt sehr viele Varianten, aber das Modell ist unflexibel in der Art, wie Väter ihren Teil der Elternkarenz nehmen können, die sind immer an die Wahl der Mutter gebunden. Anders gesagt: Die Hauptbezieherin – und das sind meistens die Mütter – treffen die Wahl.

STANDARD: Was sind Ihre Kritikpunkte?

Dearing: Die Variante, die der Großteil der Bevölkerung, nämlich mehr als die Hälfte, in Österreich wählt, sind 30 plus sechs Monate. Das ist eine sehr lange Karenzzeit, die im Vergleich sehr schlecht bezahlt ist. Das führt zu einem Auseinanderklaffen der arbeitsrechtlich geschützten Zeit und der Zeit, in der Kinderbetreuungsgeld bezahlt wird, was fatal ist für den Wiedereinstieg der Frauen. Das ist auch von der Symbolik her problematisch.

STANDARD: Warum?

Dearing: Es könnte der Eindruck entstehen, dass es die Politik nicht so schlimm findet, wenn Frauen den Wiedereinstieg nicht schaffen. (Tanja Paar, 17.11.2015)