An der Bettkante wechseln sich mitunter Geilheit und Aggression ab: Als Dank für die Hilfe müssen sich Ärzte und Pflegepersonal immer öfter schlagen, beschimpfen oder sexuell belästigen lassen.

Foto: Robert Newald

Braunau – Die Dankbarkeit von manchen Krankenhauspatienten kennt offensichtlich klare Grenzen: Gewalttätige Übergriffe steigen in den heimischen Spitälern rasant an, immer öfter werden Helfer zu Opfern.

Heikel wird es für Ärzte und Pflegepersonal aber mittlerweile nicht nur, wenn Patienten krankheitsbedingt gewalttätig werden – etwa aufgrund psychischer Probleme oder unter Einfluss von Drogen und Alkohol. Gefahr geht inzwischen auch vermehrt von Menschen aus, die sich rein aus Übermut oder aus Wut alles herausnehmen.

Vor die Tür uriniert

Wer etwa einen Blick auf die "Formblätter zur Dokumentation von herabwürdigendem Verhalten" am Krankenhaus St. Josef in Braunau wagt, erkennt schnell, wie tief die Leibschüsseln da mitunter im Pflegealltag fliegen: "Patient schlägt mit der Faust gegen meinen Hals", "Patient uriniert absichtlich vor die Tür des Dienstzimmers", "Patientin beschimpft mich 'faule Sau', weil ich keinen Apfeltee habe", "Patient schlägt gezielt in den Genitalbereich", "Frau. Sch. fragte mich, ob ich am Penis auch Tattoos hätte", "Patient greift mir beim Waschen wiederholt auf die Brust".

141 Fälle wurden allein im ersten Halbjahr 2015 in Braunau dokumentiert. Die teils massiven Übergriffe kommen in dem Innviertler Ordenspital aber nicht einfach stillschweigend zu den Akten. Als eines der ersten Krankenhäuser geht man nun mit dem Thema Gewalt am Krankenbett sehr offensiv um. Denn es gilt, ein Tabu zu brechen: In den heimischen Spitälern wird gepöbelt, gedroht, geschlagen und betatscht – doch viel zu selten reden Mitarbeiter dann darüber.

Deeskalationsmanagement

"In vielen Fällen werden diese teils massiven Übergriffe stillschweigend hingenommen. Und die Toleranzgrenze ist bei sogenannten dienenden Berufen meist irrsinnig hoch", erläutert Sylvia Aigner, stellvertretende Pflegedirektorin am Krankenhaus St. Josef, im STANDARD-Gespräch. In Braunau versucht man daher jetzt verstärkt mit einem speziellen Deeskalationsmanagement die eigenen Mitarbeiter zu schützen und andererseits potenziell rabiaten Patienten den Glauben zu nehmen, sie seien im Krankenhaus in einem rechtsfreien Raum.

"Wir wollen unsere Mitarbeiter schützen und ein Umdenken erreichen – dieses 'Ich muss mir alles gefallen lassen' muss aus den Köpfen raus", erläutert Aigner.

Mit dem bereits erwähnten Formblatt wurde in Braunau eine Möglichkeit geschaffen, Übergriffe unkompliziert zu melden und zu dokumentieren. Übergeordnete Stellen werden so rasch informiert, und es tritt der "Notfallplan" in Kraft. Aigner: "Zunächst gibt es ein verpflichtendes Gespräch des Vorgesetzten mit den Betroffenen, dann aber natürlich auch mit den jeweiligen Patienten." Und interessanterweise kommt es zumeist zu einer späten Einsicht am Krankenbett. Gut 90 Prozent würden sich für ihre Übergriffe auch entschuldigen.

Ruhe unter der Tuchent

Manchmal braucht es aber auch medizinischen Druck. "Wir hatten einmal ein Zimmer voll mit jungen Burschen. Die haben immer alle ihr Geschlechtsteil hergezeigt, wenn die Schwester ins Zimmer gekommen ist. Da hat dann der Primar klargestellt, dass nur wer sich ordentlich benimmt, auch operiert wird – und schon ist die Tuchent unten geblieben" , erzählt Aigner.

"Bei massiven, meist sexuellen Übergriffen raten wir unseren Mitarbeitern auch, die Polizei einzuschalten", schildert Aigner. Das Krankenhaus selbst kann nur jene Übergriffe zur Anzeige bringen, die aufgrund des Verletzungsgrades in der Notaufnahme enden.

Im Krankenhaus St. Josef will man aber nicht nur nach der Tat richtig reagieren, sondern präventiv arbeiten. Im Training mit einem Deeskalationsexperten sollen Ärzte und Pfleger lernen, Konfliktsituationen rechtzeitig zu erkennen – oder wie man sich im Ernstfall patientenschonend, aber effizient aus Würgegriffen befreit. (Markus Rohrhofer, 17.11.2015)