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Thomas Giernalczyk beginnt seinen Vortrag über Lügen, Intrigen und Hochstapelei gleich mit einer brisanten These: "Organisationen fördern Betrug." Dem Diplompsychologen, Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker geht es deswegen vor allem darum zu fragen, welche Art von Unternehmensorganisation als Katalysator wirkt.

Nährboden für Lügen

Bei VW erklärt sich Giernalczyk, der psychologische und therapeutische Interventionen an der Universität der Bundeswehr München lehrt, den wochenlangen Skandal um den begangenen Betrug so: "In einer autoritären Atmosphäre, wo andere, kritische Meinungen nicht geduldet werden und Fehler hart bestraft werden, herrscht Angst. Ein guter Nährboden für die Lüge."

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Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace protestierten Ende September mit Pinocchio-Figuren am Tor Sandkamp des VW-Werks in Wolfsburg.
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Das allein reiche aber nicht. VW scheint nach der Grundüberzeugung "Wir sind klüger als die anderen" gehandelt zu haben. Auf diese Weise wurden die anderen unterschätzt, sagt Giernalczyk. "Das ist dann ähnlich wie bei 'Des Kaisers neue Kleider'. In manchen Zeitungen wurden VW-Ingenieure zitiert, die den Prüfern sagten, dass ihre Messwerte ja stimmen und die Prüfer die Ergebnisse nicht richtig interpretieren würden. Damit hätte dann gar kein Betrug stattgefunden." Bei VW sei der Skandal eine Folge einer Unternehmensorganisation, die auf Überschätzung aufbaut.

Nicht jede Lüge hat Folgen

Giernalczyk beschäftigt sich schon viel länger mit Lug und Trug, der aktuelle Fall VW ist nur das sichtbarste Beispiel für einige seiner Thesen. Im Laufe seiner Arbeit hat er viele Beispiele aus Coachings gesammelt, von denen er an diesem Abend im Palais Todesco erzählt. Er interessiere sich nicht moralisch, sondern analytisch-verstehend für das Thema. Es sei durchaus wichtig, welche Art von Unehrlichkeit vorherrsche und wer dadurch welchen Schaden nehme. "Manche Lügen sind wie der berühmte Schmetterlingsschlag in der Chaostheorie, andere tun überhaupt nichts zur Sache."

"Organisationen fördern Betrug", sagt Thomas Giernalczyk bei der Gesprächsrunde "Leadership Revisited". Daneben die Gastgeber Barbara Heitger und Martin Engelberg.
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Die Intrige ist ein Beispiel für eine antifusionäre Lüge bei Giernalczyk. Sie geschehe aus Angst, sei oft ein Mechanismus der Notwehr. Durch bessere Kommunikation der Betrogenen könnte man aber schwere Folgen vermeiden. Essenziell sei das etwa bei Change-Prozessen in Unternehmen. Hier würden viele Gefahren lauern, wie sich Betroffene hintergangen fühlen könnten. Die Grundlage für Lug und Trug bestehe bei solchen Prozessen dann, wenn sich Betroffene denken "Wenn mir der Boden unter den Füßen entzogen wird, dann muss ich mir das nicht gefallen lassen". In Verteilung (distributive Gerechtigkeit), Umgang (interaktionäre Gerechtigkeit) und Tempo (prozessuale Gerechtigkeit) müsse deswegen achtgegeben werden. "Change braucht sehr viel Kommunikation. Die Betrugsrate nimmt sonst stark zu", sagt der Psychoanalytiker.

Autoritärer Stil fördert Betrug

Vertrauen mache Lügen unattraktiver, womit der Deutsche wieder bei der Unternehmenskultur ist. Denn nicht nur ob der Vorstand autoritär herrsche, sondern auch wie mit Fehlern umgegangen wird, spielt eine große Rolle. Als positives Beispiel nennt er hier ein innovatives, mittelständisches Unternehmen, in dem einer der Geschäftsführer hinter dem Rücken der anderen Geld an einen Betrüger verlor. Der Fehler wurde nicht als Einzelleistung gesehen, sondern im Kollektiv behandelt. Die Partner fragten, welches Umfeld die Fehlentscheidung begünstigte und wie mit dem Betroffenen umzugehen ist. "Die Perspektive 'Wir haben es geschafft, dass du das getan hast' fehlt in vielen Organisationen komplett. Da ist man froh wenn man einen Sündenbock hat, den man entlässt, um dann weiterzumachen wie bisher."

Topmanager lügen häufiger

Auf die Frage der Zuhörer, wo Lügen und Betrügen denn besonders begünstigt sei – in der Belegschaft oder in der Führungsriege, weiß Giernalczyk mit Daten zu antworten. In der gesamten Bevölkerung sei nur etwa ein Prozent der Meinung, dass Betrug gut ist und Vorteile bringt. Was mit Blick auf Unternehmen auffalle, sei, dass im Topmanagement verhältnismäßig mehr Menschen sitzen, die bereit sind, Regeln zu brechen, als in unteren Segmenten einer Organisation. (Lara Hagen, 16.11.2015)