Sie könne eigentlich ganz gut vegetarisch leben, meint Amila, und oft esse sie mehrere Wochen kein Fleisch. Bloß auf eine Sache könne und wolle sie nicht verzichten: Ćevapi. Wann immer sie als kleines Kind krank war, brachte ihr Vater Abends Ćevapi für sie mit nach Hause – und auch sonst waren die Ausflüge in die "Ćevabdžinica" (Ćevpapi-Buden, in denen es nichts anderes gibt als gegrilltes Faschiertes) ein besonderes Erlebnis: "Du musstest dich nicht besonders anziehen oder benehmen wie in einem richtigen Restaurant", sagt sie. Und Cola gab's dort ebenfalls ausnahmsweise zum Essen.

Amila ist in Bosnien geboren und war so nett, mit mir auf einen kleinen Ćevapi-Crawl zwischen Ottakringer und Märzstraße zu gehen (quasi auf Kollege Fidlers Spuren). Im Gegensatz zum Kebab, seinem allgegenwärtigen Namensvetter, führt das Ćevapi in Wien ein Schattendasein (so wie ein Großteil der Küche vom Balkan). Eine Ćevabdžinica oder zumindest ein Ćevapi-Stand ist mir noch nie untergekommen – warum bloß?

Foto: Tobias Müller

Das kann Amila auch nicht erklären, sonst aber weiß sie ziemlich viel über Ćevapi.
Erstens: Ćevapi heißen nur in Österreich "Ćevapčići", dort, wo sie herkommen, nennt man sie einfach Ćevapi. "Ćevapčići" ist theoretisch die Verniedlichungsform von Ćevapi, aber weil Ćevapi sowieso schon klein sind, muss man sie nicht auch noch in den Diminutiv setzen.

Zweitens: Ćevapi ist nicht gleich Ćevapi. In Bosnien gibt es zwei Arten: jene aus Banja Luka und jene aus Sarajevo. Die Banja-Luka-Ćevapi kommen als "Blättchen" oder "Finger" daher: Es sind stets vier Ćevapi, die zu einer Art rechteckigem Fleischlaberl zusammengepresst werden. Gegrillt werden sie auf einem eigenen "Banja-Luka-Grill": Über glühende Kohlen wird ein schräges Blech gelegt, das sicherstellt, dass das Fett aus den Ćevapi nicht in die Glut tropft, sondern in eine dafür vorgesehene Wanne abrinnt. Damit nichts raucht und stinkt und allzu ungesund wird.

Der Grill im Saloon in Ottakring.
Foto: Tobias Müller

Die Sarajevo-Ćevapi wiederum werden einzeln serviert, entweder fünf Stück (kleine Portion) oder zehn (große Portion). Eine kleine beziehungsweise große Portion in Banja Luka sind zweimal beziehungsweise viermal vier. Gegrillt werden Ćevapi in Sarajevo, wahrscheinlich zum Grauen aller Banja Lukaner, über einem Grill mit Rost, der so wie bei uns waagrecht über den Kohlen liegt. Während alle bosnischen Ćevapi ausschließlich aus Rindsfaschiertem gemacht werden, essen die Serben eine Mischung aus Schwein und Rind. Ihre Ćevapi werden ebenfalls einzeln gegrillt und serviert und sind in der Regel etwas größer als jene aus Sarajevo.

Drittens: Ćevapi werden traditionell mit der Hand gegessen. Gabel beziehungsweise Zahnstocher werden verwendet, um die obligaten rohen Zwiebeln zu verspeisen. Zu einer kleinen Portion Ćevapi gibt es normalerweise ein halbes Fladenbrot, zu einer großen ein ganzes. Sollten Sie einmal bloß fünf Ćevapi in einer ganzen Flade finden, so haben sie eine "Partisanenportion" erhalten: mehr Brot, weniger Fleisch, eben Arme-Leute-Essen – und in Wien häufig zu finden.

Viertens: Ćevapi werden ohne Saucen gegessen. Ayvar und Kajmak, wie sie in Wien gern dazu gereicht werden, werden am Balkan zu Ćevapi nur in schickeren Restaurants gelegt. Stets dabei sind nur Brot und rohe Zwiebeln – Letzteres eine Sitte, mit der ich mich nie richtig anfreunden konnte. Gewohnheit, meint Amila. Und auf dem Balkan gebe es vielleicht mildere Zwiebelsorten. Das würde einiges erklären.

Und fünftens: Ćevapi sollen nach Fleisch und Grill schmecken, sonst nichts. ("Sie in der Pfanne zu braten ist ein Verbrechen", sagt Amila.) "Ćevapčići-Gewürz", wie es in manchen heimischen Supermärkten zu finden ist, ist eine österreichische Erfindung. Ćevapi werden meist gar nicht, manchmal nur ganz ein bisschen gewürzt. Salz, Pfeffer, vielleicht einmal ein Hauch Knoblauch. Das Wichtigste sei, dass das Fleisch für die Ćevapi ganz frisch ist, meint Amila. Wenn zu viel Gewürz in der Wurst sei, würde das als Hinweis gedeutet, dass jemand versucht, den üblen Geschmack von altem Fleisch zu übertünchen.

Daneben ranken sich natürlich zahlreiche Legenden um die Ćevapi bestimmter Restaurants, Fleischer oder Großmütter – ähnlich wie bei der Pasta in Italien hat jede Gegend, jeder Ort seine eigene Variante. Man munkle, manche würden ihre Ćevapi über Nacht in Zwiebelwasser einlegen, andere wiederum sollen Natron untermischen, um diese ganz spezielle, leicht gummige Ćevapi-Konsistenz hinzubekommen – genau wisse man es aber nicht.

Foto: Tobias Müller

Reisetipps

Sollten Sie auf dem Balkan unterwegs sein: In Sarajevo sind die Restaurants Željo, Hodžic und Mrkva für ihre Ćevapi berühmt, in Banja Luka Kod Muje und der Obelix-Grill und in Tuzla das Sezam. Generell seien die Wiener Ćevapi gar nicht schlecht im Vergleich zu ihren Vorbildern in Bosnien – bloß das Lepina, das dazu passende Fladenbrot, kriegen die Wiener nicht so recht hin, meint Amila. Ich fürchte, da hat sie recht.

All das hat mir Amila im Saloon erklärt, unserer ersten Ćevapi-Station. Die meisten der Balkanfressbuden, die es heute in Wien gibt, stammen aus den 90er-Jahren und wurden von Kriegsflüchtlingen eröffnet. Frühere Generationen von Balkan-Migranten, die klassischen "Gastarbeiter", sperrten weniger Lokale auf und gründeten eher Vereine, in denen sich die Leute zum Tratschen und Trinken trafen. Mit Ausbruch des Krieges politisierten sich viele dieser Clubs/Gastarbeitervereine, der Bedarf an neutralen, unpolitischen Orten stieg – und zahlreiche Cafés und Restaurants entstanden. Viele davon gibt es bis heute.

Zwar wissen die Gäste manchmal, ob ein Serbe, Bosnier oder Kroate ein Lokal betreibt – die Kundschaft sei aber meistens sehr gemischt, meint Amila. Schon allein deswegen, weil viele Lokale etwa von Ehepaaren betrieben werden, die aus jeweils einem anderen Land kommen. Der Saloon, unser Startpunkt, ist da ein gutes Beispiel.

Saloon

Der Laden gehört einem bosnisch-kroatischen Ehepaar, seit zehn Jahren werden hier Banja-Luka-Ćevapi stilecht vom Banja-Luka-Grill gereicht. Super Biss, guter, reiner Fleisch- und Grillgeschmack, das beste Lepina und das richtige Level an Fett auf Brot – das hier waren meine Lieblings-Ćevapi der Tour. Kann natürlich auch daran liegen, dass es unser erster Stopp war und mein Appetit deutlich größer als bei den folgenden.

Ćevapi im Saloon, Ottakringer Straße 48.
Foto: Tobias Müller

Zov Homolja

Über dieses Lokal hat bereits Kollege Fidler ausführlich berichtet. Amila hat mich hier der Vollständigkeit halber hergeführt, damit auch ein serbischer Laden dabei ist. Die Ćevapi hier sind etwas saftiger als im Saloon, dafür ist die Konsistenz weniger angenehm schwammig. Der Geschmack kippt deutlich ins Schweinische, und ein Hauch Knoblauch umweht die Würste ebenfalls. Die Lepina ist ein bisserl teigiger als bei der Konkurrenz, insgesamt aber sehr essbar.

Zov Homolja, Liebhartsgasse 39.
Foto: Tobias Müller

Galaxie

Was das Kent bei den türkischen Lokalen ist, ist das Galaxie für die Balkanschuppen. Amilas Vater holt hier regelmäßig seine Ćevapi ab. Trotzdem haben mich die faschierten Würste hier am wenigsten überzeugt: der körnigste Biss, ein Fleischgeschmack, der mir nicht unbedingt zusagt, die Lepina recht teigig und dick. Wirklich gut fand ich nur das tomatige, leicht scharfe Ayvar.

Galaxie, Märzstraße 1.
Foto: Tobias Müller

Balkanika

Die erste Station meiner Ćevapi-Erkundungen ohne Amila – auf Empfehlung einer Bosnierin, die ich hier vor kurzem kennengelernt habe. Sehr gute Lepina – dünner und etwas knuspriger als üblich –, aber die Ćevapi kommen meiner Meinung nach ebenfalls nicht an den Saloon heran. Glücklicherweise ist der nur wenige Meter von der Ottakringer Straße entfernt.

Soll bei Gelegenheit fortgesetzt werden! (Tobias Müller, 15.11.2015)