Die Kinder toben durch das Haus. Das zehrt an den Nerven von manchen Bewohnern und Helfern, aber immerhin: Die Kinder sind fröhlich. Sie haben das Trauma des Krieges und der Flucht und den Verlust der Heimat offenbar überwunden. Sie spielen und lachen, das Leben in dem großen neuen Haus ist ein Abenteuer.

Viele Konflikte

Die Erwachsenen tun sich schwerer, vor allem die Männer. Nachdem die Anspannung der Flucht abgefallen ist, nachdem die Familie erst einmal in Sicherheit ist, gibt es hier das erste Mal Ruhe. Aber auch nichts zu tun. Alles ist weg, auch der soziale Status. Sie sind Flüchtlinge, haben Hab und Gut verloren, sind bestenfalls geduldet und nicht unbedingt geschätzt. "Es gibt viele Konfliktsituationen", erzählt Martina Burtscher, die für das Haus in der Vorderen Zollamtsstraße zuständig ist. Auch die Polizei ist öfter hier.

Im Haus leben etwa 250 Kinder. Sie haben das Trauma der Flucht und den Verlust der Heimat scheinbar rasch überwunden.
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Das Flüchtlingsquartier liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum STANDARD, nur zwei Häuser weiter. Es ist mit 1.100 Personen das größte Flüchtlingsquartier in Wien. Von außen nimmt man weder die räumliche Dimension mit 30.000 Quadratmetern noch die hohe Zahl an Flüchtlingen wahr. Vor dem Haus, in dem früher die Finanzlandesdirektion untergebracht war, stehen ein paar Männer und rauchen. Drinnen führt uns Ali Makhdoomi durch die Gänge. Er kommt aus dem Iran, ist Student an der Universität für angewandte Kunst in Wien, spricht Farsi und Arabisch, er arbeitet hier ehrenamtlich als Dolmetscher. Vor zwei Monaten hat er damit begonnen, mittlerweile kommt er täglich her. "In meiner Heimat konnte ich nicht helfen", sagt er, "hier brauchen mich die Leute." Die Kinder mögen ihn, sie lachen und rufen am Gang seinen Namen, wenn sie ihn sehen.

Borge und seine Familie kommen aus Afghanistan, sie haben hier die Sicherheit gesucht. Und haben – vorläufig – nichts.
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Im zweiten Stock treffen wir eine Familie aus Afghanistan, Borge, seine Frau und ihre drei Kinder. Zwei Monate waren sie auf der Flucht. "Wir haben gehört, Österreich ist das sicherste Land der Welt", sagt Borge. "Und die Leute sind so freundlich." Kennengelernt haben sie allerdings noch niemanden. Borge will als Steinmetz arbeiten, seine Frau hat Teppiche geknüpft. Jetzt müssen sie erst einmal Deutsch lernen. Die Kinder sind ihnen einen Schritt voraus, sie lernen begeistert und schnell und lieben die Kurse.

Martina Burtscher ist die Leiterin des Hauses in der Vorderen Zollamtsstraße, sie verwaltet Mängel: zwei Monate Tomatenfisch und eine Dusche für 1100 Personen.
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Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, unter ihnen sind ebenso Analphabeten wie Augenärzte. Was Martina Burtscher hier betreibt, ist Mängelverwaltung. Das Haus, das vom Roten Kreuz betrieben wird, wurde ursprünglich als Transitquartier geführt, mittlerweile bietet es Flüchtlingen dauerhaft Quartier, obwohl es den geforderten Standards nicht entspricht. Es gibt zum Beispiel nur eine einzige Dusche im Haus. Einmal die Woche rücken die Flüchtlinge daher zum Duschtag in das Tröpferlbad im fünften Bezirk aus. Verhandlungen über Duschcontainer im Hof laufen, involviert sind Innenministerium, Bundesimmobiliengesellschaft und das Rote Kreuz. Burtscher atmet tief durch. "Es sind schwierige Verhandlungen", sagt sie. Noch ohne Ergebnis.

Teambesprechung: Im Haus gibt es auch viele Konflikte, es fehlt an allem. Wer Spenden will: Obst und Gemüse, Kinderspielzeug und Gewand, Zeit und Engagement.
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Eine Demonstration der Bewohner hat es auch schon gegeben. Vor dem Haus protestierten etwa 60 Flüchtlinge gegen die Verpflegung. Burtscher kann es ihnen nicht verdenken. "Seit zwei Monaten gibt es Tomatenfisch aus der Dose, jeden Abend." Das Bundesheer ist für die Verpflegung zuständig, Mittagessen gibt es keines. Das Haus ist auf Spenden angewiesen. Dringend benötigt werden Obst und Gemüse. Aber auch Kinderspielzeug und Gewand seien gefragt, immerhin wohnen etwa 250 Kinder im Haus.

Möbel bemalen

Im hinteren Trakt im Erdgeschoß befindet sich das neue "Kulturcafé". Die Möbel wurden von den Kindern im Haus bemalt, die Projektleitung hatten Studenten der Technischen Universität und der Angewandten über. Stephan Trimmel, ein Social Designer, engagiert sich hier seit dem Urbanize-Festival Anfang Oktober. "Wir leben von Materialspenden", erzählt er. Wichtig sei aber die Zeit, es gehe auch darum, den Menschen hier Beschäftigung zu bieten. Rabin und Saif, 21 und 22 Jahre alt, arbeiten mit. Sie sind Kurden aus dem Irak und flohen vor dem IS. Rabin zeigt die Narben seiner Verwundungen, erzählt von der Flucht. Ausbildung haben sie keine, gelernt hätten sie nur den Krieg.

Ganz wesentlich wird der Betrieb im Haus von freiwilligen Helfern getragen. Ein Teil von ihnen kommt vom "Team Österreich", das ursprünglich von Ö3 initiiert wurde.
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"Es ist der Versuch, das Haus fast ohne Budget am Laufen zu halten", sagt Burtscher. Es fehle an allem, umso beeindruckender sei das Engagement der freiwilligen Helfer. Sie treten jeden Tag hier an und machen das Beste aus einer Situation, die Burtscher als "permanente Krise" bezeichnet. (Michael Völker, 13.11.2015)