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Ein syrischer Flüchtling zeigt am Hauptbahnhof in Lübeck seinen Reisepass. Deutschland wendet bei syrischen Asylwerbern wieder das Dublin-Verfahren an.

Foto: dpa / Daniel Reinhardt

Frage: Was ändert sich für syrische Flüchtlinge in Deutschland?

Antwort: Deutschland wendet schon seit Ende Oktober wieder das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrer an. Dieses besagt, dass jener EU-Staat für das Asylverfahren eines Flüchtlings zuständig ist, in dem dieser zum ersten Mal EU-Territorium betreten hat. Diese Praxis war Ende August von der deutschen Bundesregierung ausgesetzt worden.

Frage: Wohin werden die Flüchtlinge zurückgeschickt?

Antwort: In alle Staaten, die das Dublin-Abkommen unterzeichnet haben – mit Ausnahme von Griechenland. Hier bleibt Berlin bei der bisherigen Praxis, da Griechenland bei der Erstregistrierung nach wie vor überfordert ist. Es gibt auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus 2013, wonach nicht nach Griechenland abgeschoben werden darf. Diese Menschen dürfen also in Deutschland bleiben.

Frage: Schickt Berlin künftig pauschal alle Syrer zurück?

Antwort: Nein. Ein Sprecher von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte am Mittwoch, man könne keine Zahlen nennen. Es werde jeder Einzelfall geprüft. Wenn jemandem etwa die Reise nicht zuzumuten sei, könne er in Deutschland bleiben.

Frage: Warum erfolgt die Änderung gerade jetzt?

Antwort: Die deutsche Regierung bemühte sich am Mittwoch, die Entscheidung herunterzuspielen – gemäß dem Motto: "Wir wenden einfach nur EU-Recht an." Doch dahinter steckt eine politische Botschaft, die den hohen Flüchtlingszahlen geschuldet ist, und diese lautet: Deutschland nimmt nicht mehr jeden Flüchtling auf.

Frage: Herrscht wieder Frieden in der deutschen Koalition?

Antwort: Nein. Das Innenministerium hat den Koalitionspartner SPD nicht über die Änderung der Regeln informiert, dieser las davon in der Zeitung und ist sauer. "Was nicht geht, ist die Nullkommunikation des Bundesinnenministers", sagt SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war nach Angaben ihrer Sprecherin nicht informiert.

Frage: Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf Österreich?

Antwort: Wenn ein Asylbewerber, der bereits in Österreich registriert wurde und dort ein Verfahren laufen hat, nach Deutschland weiterreist, wird er zurückgeschickt. Flüchtlinge, die unregistriert aus Österreich einreisen, können in Deutschland bleiben. Allerdings betont der Innenminister, er erwarte, dass jetzt auch andere Staaten (wieder) EU-Recht anwenden, dass Flüchtlinge also im Land des Ersteintritts registriert und nicht bloß nach Deutschland durchgewunken werden.

Frage: Wie hat Österreich auf die Entscheidung Deutschlands reagiert?

Antwort: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat diesen Schritt ausdrücklich begrüßt. "Das wäre das Signal, auf das wir die letzten Wochen gewartet haben – der Wendepunkt von der grenzenlosen Willkommenskultur zurück zu einer Kultur der Vernunft und des Augenmaßes", sagte sie direkt nach Bekanntwerden der Entscheidung am Dienstagabend. "Ich habe immer davor gewarnt, dass das ersatzlose Streichen Dublins zu einer Verschärfung der Schieflage in Europa führt. Genau damit hat Europa jetzt zu kämpfen. Es ist gut, dass jetzt auch Deutschland wieder gänzlich zum Dublin-System zurückkehren will", so die Innenministerin.

Frage: Das Dublin-Verfahren steht ungeachtet des deutschen Schwenks weiter in der Kritik. Wieso genau?

Antwort: Das 1990 in die Welt gesetzte Regelwerk hat zu einer europäischen Schieflage geführt, weil besonders in Zeiten massiver Flüchtlingsbewegungen die EU-Staaten mit Außengrenzen stark davon betroffen und durch die hohe Zahl von Ankommenden oft überfordert sind. Speziell betrifft das Italien und Griechenland, die am Anfang beliebter Flüchtlingsrouten stehen.

Frage: Wie will die EU die stark belasteten Länder unterstützen?

Antwort: Nach langen Verhandlungen wurde beschlossen, 160.000 in Italien und Griechenland angekommene Flüchtlinge auf andere EU-Staaten umzuverteilen. Bei der Umsetzung hakt es aber noch ziemlich, bisher wurden erst 105 Schutzsuchende aus Italien und 30 Flüchtlinge aus Griechenland nach Finnland, Schweden und Luxemburg umgesiedelt.

Frage: Welche Alternative gibt es zum Dublin-Verfahren?

Antwort: Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, die Flüchtlinge nach einem permanenten Verteilungsschlüssel auf sämtliche EU-Staaten zu verteilen, der sich nach Kriterien wie Bevölkerungszahl oder Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Länder berechnet. Das ist es auch, was die EU-Kommission seit Monaten umsetzen will. Allerdings fehlt dafür nach wie vor die notwendige Mehrheit. Strikt dagegen sind vor allem die Länder im Osten Europas. (Birgit Baumann, Kim Son Hoang, 11.11.2015)