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Lokalaugenschein dänischer Politiker in einem Laden in der israelischen Siedlung Kohav Hashahar im Westjordanland. Produkte wie diese Kosmetika sollen gekennzeichnet werden – die EU-Vertretung in Israel sprach von einer Anwendung von "Konsumentenschutzgesetzen".

Foto: APA / AFP / Menahem Kahana

Mit einer "interpretativen Notiz" über die Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen hat die EU am Mittwoch in Israel einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der quer durch die politischen Lager ging. Regierungs- und Oppositionspolitiker sprachen von einer "dummen Entscheidung", einer "Kapitulation vor der Boykottbewegung" und einem "Preis für den palästinensischen Terror". Regierungschef Benjamin Netanjahu fühlte sich gar an den Nazi-Boykott jüdischer Waren erinnert: "Die Kennzeichnung von Produkten des jüdischen Staates durch die EU bringt dunkle Erinnerungen zurück, Europa sollte sich für sich selbst schämen", erklärte er in einem auf Facebook veröffentlichten Video.

Vor Medienvertretern in Jerusalem versuchte der EU-Botschafter in Israel, der Däne Lars Faaborg-Andersen, zu beschwichtigen: Es handle sich bloß um eine "technische Angelegenheit", die "keine neue Politik ausdrückt – die EU ist gegen jede Form von Boykott oder Sanktionen und gegen alles, was auf eine Isolierung Israels abzielt."

"Doppelte Maßstäbe"

Das israelische Außenministerium, das Faaborg-Andersen zu Erläuterungen einbestellte, sah das ganz anders: In einer offiziellen Stellungnahme verurteilte es den "außergewöhnlichen und diskriminierenden Schritt", der "doppelte Maßstäbe an Israel" anlege und dabei "ignoriert, dass es weltweit 200 andere territoriale Konflikte gibt".

Faaborg-Andersen bekannte, dass die EU noch nie zuvor eine ähnliche Anweisung für irgendein anderes Land erteilt habe; doch das liege daran, dass es nirgendwo "eine vergleichbare Situation" gebe. Die Kennzeichnung werde Waren aus jenen Gebieten betreffen, die Israel seit 1967 "verwaltet" – also das Westjordanland, Ostjerusalem und den Golan.

Es gehe dabei lediglich um die Anwendung von "Konsumentenschutzgesetzen" : "Die Konsumenten in Europa haben das Recht zu wissen, wo das Produkt herkommt – und wenn es aus einer Siedlung im Westjordanland kommt, dann kann eben nicht 'Made in Israel' draufstehen", so der Botschafter.

Großbritannien, Belgien und Dänemark hätten längst entsprechende Kennzeichnungen eingeführt, nun wolle man bloß den EU-Mitgliedsstaaten einheitliche Richtlinien vorgeben. Eine bindende Vorschrift für die Formulierung auf den Etiketten habe man nicht beschlossen, so Faaborg-Andersen. Als Vorbild könnte etwa die britische Praxis dienen: "Produziert in der West Bank (Israelische Siedlung)", könnte man auf die Weinflaschen oder die Kosmetika aus dem Westjordanland schreiben. Die wirtschaftliche Bedeutung sei dabei minimal, denn der Export aus den Siedlungen mache nur 1,3 Prozent des Handels zwischen Israel und der EU aus.

Von den Richtlinien wäre etwa Inon Rosenblum betroffen, der seit 1982 in der Siedlung Naama im Jordantal Datteln und Gewürzpflanzen erntet. Für ihn sind die Europäer "scheinheilig": "Sie wollen mit der Kennzeichnung politischen Druck ausüben, sie wollen einen stillen Boykott gegen uns, weil sie nicht wollen, dass wir hier sind – das ist die Idee dahinter."

Jobs für Palästinenser

Die Siedler im Jordantal argumentieren auch damit, dass sie in ihren Landwirtschaftsbetrieben, je nach Saison, 3000 bis 6000 Palästinenser aus den umliegenden Dörfern beschäftigen – und die würden als Erste ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn wegen der Kennzeichnung der Export nach Europa geschädigt würde.

Der 19-jährige K. ist in dem palästinensischen Dorf Jiftlik zu Hause und arbeitet nebenan in einer Siedlung beim Verpacken von Datteln. "Das mit der Kennzeichnung ist ein Fehler", sagt er, "wir Arbeiter werden ein Problem haben, wenn die Produkte nicht verkauft werden."

Doch in einem sind der EU-Botschafter und der Farmer sich einig: Die Kennzeichnung werde wenige konkrete Auswirkungen haben. "Wir wollen ja nur den Konsumenten informieren, es gibt keinen Grund dafür, dass der Verkauf von Waren aus den Siedlungen zurückgeht", sagt Faaborg-Andersen. "Wir sind seit 33 Jahren hier und werden immer hier sein, denn das ist meine Heimat und mein Land", meint Rosenblum. (Ben Segenreich aus Jerusalem, 11.11.2015)