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Im Juli 2010 besuchte Carme Chacón, die damalige Verteidigungsministerin Spaniens, ihre Truppen in Afghanistan. Etwa 780 spanische Soldaten waren dort im Rahmen der Nato-Mission Isaf stationiert.

Foto: EPA/ISAF/HANDOUT

"Wir stecken fest. Unsere Zukunft ist alles andere als klar", sagt Momin Azizi mit freundlichem und zugleich traurigem Blick. Der 30-jährige Übersetzer stand für mehr als zwei Jahre im Dienste der spanischen Truppen im afghanischen Badghis. Als Madrid die Truppen nach und nach abzog, fielen die Jobs für Übersetzer weg. "Wir wurden einfach entlassen und nach Hause geschickt. Die Taliban drohten uns und unseren Familien mit Vergeltungsmaßnahmen", berichtet Azizi. Einer wie er gilt den Aufständischen als Kollaborateur, als Verräter. Was so jemand verdient, daran lassen die Taliban keinen Zweifel.

Mit seiner Frau Sarah und seinen drei Kindern kam Azizi im September 2014 als Asylsuchender nach Spanien. "Die Armee lieferte uns in einem kleinen Hotel am Stadtrand Madrids ab und wollte fortan nichts mehr von uns wissen", erzählt der Übersetzer.

Von dort kam er in ein Flüchtlingswohnheim in Vallecas, einem Arbeiterstadtteil im Süden Madrids. "Am 1. November mussten wir raus. Das Übergangsjahr ist vorüber. Wir haben eine kleine Wohnung gemietet, doch wie lange wir sie finanzieren können, weiß ich nicht", erklärt Azizi. Die Familie bekommt vier Monate Hilfe von einer NGO. Danach gibt es nichts mehr – auch keine staatliche Unterstützung.

"Wir haben für Spanien gearbeitet, jetzt lassen sie uns einfach im Stich", schimpft Azizi und blickt dabei, als könnte er es noch immer nicht glauben. Zwar hat er einen Flüchtlingspass und eine Arbeitserlaubnis für Spanien, "aber wie soll ich einen Job finden, wenn selbst Millionen Spanier arbeitslos sind?", fragt er. Weder das Verteidigungs- noch das Sozialministerium nimmt sich der Familie Azizi an, obwohl sie immer wieder vorstellig wurde.

Dutzende Betroffene

Die Familie ist kein Einzelfall. Insgesamt sind 37 Übersetzer, die in Herat, Kabul und Badghis gearbeitet haben, nach Spanien gekommen. Mit Angehörigen sind es 47 Personen. Ashabudin Jallali und Esmatullah Husaini sind schon seit März 2014 hier. Die beiden 27-jährigen ehemaligen Hispanistikstudenten der Universität Kabul gehörten zu den Ersten, die ausreisen durften.

Einfach war das nicht: "Wir hatten monatelang Druck gemacht; bei der Armee und bei der Botschaft vorgesprochen; Briefe an die Regierung in Madrid geschickt; mit der spanischen Presse gesprochen", berichtet Jallali. "Wir konnten uns nicht mehr im Lande bewegen, die Straßen sind unsicher für Leute wie uns. Einem Kollegen wurde das Haus abgebrannt, sein Vieh wurde getötet", erinnert sich Husaini.

In Spanien unterschrieben Zehntausende eine Petition an die Regierung, den Übersetzern zu helfen. All das zeigte schließlich Wirkung: Die Betroffenen durften einen Asylantrag stellen und wurden dann nach Spanien gebracht.

Jallali und Husaini sind schon seit dem Frühjahr nicht mehr im Flüchtlingswohnheim. Aber auch sie haben keinerlei Unterstützung. Jallali teilt mit Bekannten eine Wohnung in einem Vorort.

Zwar ist er wie die meisten seiner Kollegen beim Außenministerium als Übersetzer für Dairi und Paschtunisch eingetragen, aber angerufen wurde noch nie einer aus der Gruppe. Jallali bedient deshalb in einer Kebabbude, wo er 450 Euro verdient – weit weniger als den gesetzlichen Mindestlohn von 648,60 Euro. "Unter der Woche arbeite ich dafür zwölf Stunden täglich, am Wochenende bis zu 18 Stunden", berichtet er. Dienstags, wenn er frei hat, trifft er sich mit anderen aus der Gruppe der Übersetzer.

Husaini hat überhaupt keine Arbeit, schläft bei Freunden und lebt von dem, was er bei der Obsternte in Katalonien verdient hat. "Für diesen Job musste ich einem Vermittler einen Teil meines Lohnes abgeben", berichtet er. 400 Euro bleiben ihm noch an Erspartem. Was danach kommt, weiß er nicht. "Richtige Arbeit gibt es nicht. Sobald die hören, dass wir aus Afghanistan sind, ist das Gespräch vorbei", erzählt Husaini.

"Gefährlicher Job"

"Ohne uns wären die Spanier in Afghanistan aufgeschmissen gewesen", schimpft Husaini. Ob bei Sitzungen, bei der Ausbildung afghanischer Truppen, bei Einsätzen oder bei Hausdurchsuchungen: Die Übersetzer waren immer ganz vorn dabei. "Es war ein gefährlicher Job, auch wenn er für afghanische Verhältnisse sehr gut bezahlt war", wirft Jallali ein; keiner danke es ihnen.

Was die Übersetzer am meisten schmerzt: "Die Soldaten und Vorgesetzten, mit denen wir zusammengearbeitet haben, ignorieren uns einfach", berichten sowohl Jallali und Husaini als auch Azizi.

Letzterer hatte einen "echten Freund unter den Soldaten". Das glaubte er zumindest. "Als er abgezogen wurde, habe ich beim Abschied geweint. Wir haben Telefonnummern ausgetauscht. Er hat mich mehrere Male von Spanien aus angerufen. Doch als ich hier ankam, hat er mich nicht einmal auf einen Kaffee besucht", sagt Azizi und senkt den Blick.(Reiner Wandler aus Madrid, 11.11.2015)