Das Setting ist furchteinflößend: ein spießiges rosa Sofa, romantische Blumenbilder an den Wänden, biedere Hausfrauen im Publikum und eine Moderatorin, die wie aus dem Ei gepellt aussieht. Als Grace Jones Ende der 1980er-Jahre, mit Gassenhauern wie "La Vie en Rose" (1977) und "Slave to the Rhythm" (1985) als hedonistische Discoqueen und exzentrisches Gesamtkunstwerk längst im Mainstream angekommen, im TV-Talkformat "The Joan Rivers Show" auftritt, wirkt sie wie direkt aus dem Fetischclub in eine Tupperware-Party gebeamt.

Sie steckt in einem atemberaubend engen Ganzkörperanzug, trägt eine sexy Kapuze, die später Kylie Minogue in ihrem Video "Can't Get You Out of My Head" (2001) kopieren sollte, und hat eine Polizistenkappe auf. Ein Auftritt, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Neben Jones sieht Lady Gaga, krampfhaft um modische Originalität bemüht, wie eine langweilige Klosterschülerin aus.

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Auftritt im Jahr 2012 vor dem Buckingham Palast in London.
Foto: reuters/moir

Geplaudert wird offenherzig über Tabuthemen wie künstliche Befruchtung, einen Streit mit einem Piloten, der damit endete, dass sich Grace auf die Landebahn legte, und darüber, warum sie einen britischen Interviewer während einer Livediskussion schlug (er hatte ihr schließlich den Rücken zugekehrt). Jones erzählt, dass sie oft von Leuten angesprochen werde, wie toll die letzte Nacht mit ihr gewesen sei. Leider kann sie sich selten daran erinnern. Sie habe eben viele Klone, berichtet sie lachend: vor allem Männer.

Sugar-Daddy

Erstaunlich, wie modern diese Aufnahmen noch immer wirken, wie sehr Grace Jones die aktuell in der Mode gefeierte Androgynität mit ihrer In-your-face-Sexualität vorwegnahm, wie selbstverständlich Cross-Dressen als Gender-Option durchgespielt wurde. Sie verkörperte ein Frauenbild, das sich selbstverständlich auch Aggressivität zugestand. "Ich bin mein eigener Sugar-Daddy. Wenn ich ein Diamantencollier haben möchte, dann kaufe ich es mir einfach selbst", schreibt sie in ihrer soeben auf Englisch erschienenen Autobiografie "I'll Never Write My Memoirs".

Das Buch erzählt ausgiebig von ihrer harten, religiös geprägten Kindheit auf Jamaika – sie und ihre Geschwister wurden vom Mann ihrer Großmutter, einem Priester, regelmäßig mit dem Ledergürtel geschlagen. Nach der Übersiedlung in die USA Anfang der 1960er-Jahre begann ihre große Befreiung, es folgten durchtanzte Nächte in der New Yorker Kultdisco Studio 54, jede Menge Drogen ("Ich ziehe es vor, mir das Kokain in den Hintern zu schieben, statt es zu schnupfen"), erste, eher zähe Schritte als Model (damals gab es noch Agenturen, die "Black Beauty" hießen), die Übersiedlung nach Paris, wo sie in den 1970ern mit Jerry Hall und Jessica Lange eine Wohnung und zahlreiche Liebhaber teilte.

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Grace Jones bei einem Fototermin im November.
Foto: ap/vianney le Caer

Anekdoten fehlen auch nicht: 1985 spielt Jones in dem Streifen "Im Angesicht des Todes" das Bond-Girl; Andy Warhol wollte unbedingt wissen, wie groß der Penis ihres Filmpartners und Liebhabers Dolph Lundgren sei, deshalb arrangierte er einen Fototermin mit Starfotograf Helmut Newton, der wusste, wie man Leute dazu bringt, sich vor der Kamera auszuziehen.

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Am Filmset von "Im Angesichts des Todes" mit Tanya Roberts und Roger Moore.
Foto: ap/duclos

Großes Ego

Modemacher erkannten früh ihr Potenzial. Claude Montana, bekannt für sein 80s-Power-Dressing, kleidete sie in aggressive, oversized Ledermäntel und Kostüme, die sie mit der richtigen Attitude trug, schließlich war ihr Ego mindestens genauso groß wie seine Schulterpölster. Ihre strengen Herrenanzüge aus "Nightclubbing" stammen von Giorgio Armani. Graffiti-Künstler Keith Haring bemalte ihren Körper, um sie als urbane Massai-Kriegerin zu inszenieren. Zu Beginn ihrer Modelkarriere wurde der japanische Faltenwurfmeister Issey Miyake ein zentraler Mentor. Für seine bahnbrechende Show "Issey Miyake and Twelve Black Girls" (1976) engagierte er nur schwarze Models, am Ende sang Jones in einem Hochzeitskleid ihre erste Single "I Need a Man".

Liebe zur Provokation

Ikonografisch aber sind vor allem jene Bilder geworden, die ihr damaliger Lebensgefährte Jean-Paul Goude arrangierte: Jones in aberwitziger Yoga-Pose mit knappem Outfit auf dem Cover von "Island Life" (1985), nackt als Raubtier in einem Käfig. Kritik blieb da nicht aus: Ein weißer Mann inszeniert eine schwarze Frau als exotisches Raubtier. Die Künstlerin selbst konnte mit diesen Vorwürfen allerdings wenig anfangen. "Ich fühlte mich immer außerhalb von Rasse und Gender. Ich betrachtete mich als Energie, die man in keine Schubladen stecken kann."

Mit der biederen Talkmasterin Joan Rivers verstand sich Grace Jones erstaunlich gut. Bei einem anderen Treffen wurde sie nach ihrem gewagtesten Outfit gefragt. Sie überlegt nicht lange: Das war nackt auf einer Party, auf der auch französische Minister anwesend waren. Um ihren Hals baumelte eine Kette aus Tierknochen. Diese Liebe zur Provokation hat sie übrigens beibehalten. Jüngst performte sie mit 67 Jahren auf einem Festival in Manchester oben ohne, dazu trug sie ein Baströckchen und war wie eine Stammesfürstin bemalt. "Noch immer knackig", schrieb die "Kronen Zeitung". Auch dieser Sexismus wäre Jones, die ohnehin auf ihrem eigenen Planeten lebt, wahrscheinlich egal. (Karin Cerny, RONDO, 15.12.2015)