Bettina Götz und Richard Manahl in ihrem Wohnraum in einem Roland-Rainer-Bau in Liesing. Vom Leben nach starren Grundrissen halten die beiden wenig. Gewohnt wird überall.

Foto: Nathan Murrell

Am wichtigsten ist den beiden Architekten ihr großer Tisch. Er ist für sie zentrales Element im Wohnraum, der Ort, an dem man alles tun kann. Um ihn herum versammeln die Architekten eine Menge verschiedener Stühle, in erster Linie um sie ausprobieren und studieren zu können.

Foto: Nathan Murrell
Foto: Nathan Murrell
Foto: Nathan Murrell
Foto: Nathan Murrell

Wenn wir an unsere Jugend in Vorarlberg zurückdenken, können wir uns an Wohnzimmer von Freunden erinnern, die nur benützt wurden, wenn Gäste kamen. Etwas Ähnliches gibt es in arabischen Ländern, wo es einen ersten, sogenannten Gastraum im Haus gibt, von dem aus es in die privaten Bereiche geht. Im urbanen Frankreich luden früher Menschen ihre Freunde lieber ins Gasthaus und nicht zu sich nach Hause ins Wohnzimmer ein, wo sie viele ihrer Möbel mit Leintüchern zudeckten. Man kennt das aus Filmen. Das hatte dort Tradition.

Wir glauben, dass das Wohnzimmer im klassischen Sinne gar nicht mehr existiert. Es gibt lediglich Räume, in denen man sich aufhält. Die Funktionszuweisung an Orte in Wohnungen und Häusern passiert nur im Zusammenhang mit Objekten, die in Zimmern zu finden sind, sei es der Herd oder das Bett.

Viele Stühle

Durch neue Wohn- und Lebensformen haben sich hierzulande viele starre Zuordnungen aufgelöst. Wir beide wohnen zum Beispiel hauptsächlich im Büro. Im Prinzip kann man aber sowieso alles überall machen. Ein starrer, nur Funktionen dienender Grundriss gehört weitgehend – und in unserem Denken sowieso – der Vergangenheit an. In einer Wohnung wohnt man überall, nicht nur im Wohnzimmer. Das führt gewissermaßen auch die Bezeichnung dieses Raumes ad absurdum.

Aus alldem folgt, dass das ideale Wohnzimmer ein Loft ist, ein großer Raum, den man mit seinen Dingen befüllen kann. Was macht man im Wohnzimmer? Man trifft Menschen, man tut gar nichts, man arbeitet, man isst oder man kocht, wenn es eine Wohnküche ist. Das Zentrale ist ein großer Tisch, an dem viele Menschen Platz finden, der aber auch passen muss, wenn man nur zu zweit dort sitzt.

Ausprobieren und Studieren der Möbel

Ganz wichtig in Sachen Wohnraum sind uns jede Menge Sessel. Wir wohnen in einem 60er-Jahre-Bau von Roland Rainer im 23. Bezirk mit einer Vielzahl verschiedener Sessel. Dabei geht es nicht nur um Einrichtung und Ästhetik. Indem wir mit den Möbeln leben, wollen wir sie auch ausprobieren und studieren. Der "One"-Stuhl von Konstantin Grcic zum Beispiel ist ein wunderbarer Entwurf, allerdings stehen seine Beine zu weit ab, und man haut sich ständig die Füße an. Erstaunlich, dass dem Grcic so etwas passiert. Der ungeschlagene Sesselkönig ist wohl immer noch das Urmodell von Thonet. Wir mögen auch andere Entwürfe sehr gern, viele von Charles und Ray Eames und jene von Hans J. Wegner.

Leider ist es weitgehend aus der Mode gekommen, dass Architekten Sessel entwerfen. Das liegt nicht an fehlender Zeit oder Lust, sondern an der Wirtschaftlichkeit. Es rentiert sich einfach nicht, wenn wir für einen Bauherrn acht Sessel entwerfen und produzieren lassen. Schaut man sich die Häuser der Eames an, aber auch von Hermann Czech, hört die Architektur nicht beim Haus auf. Das macht auch sehr viel Sinn. Hat ein Auftraggeber wirklich Vertrauen zu seinem Architekten, hätte er am liebsten auch den Löffel von diesem entworfen.

Raumreise

Wir denken nicht, dass man von einer Hierarchie der Räume sprechen kann. Für uns ist der wichtigste Ort im Haus der erwähnte Tisch, an dem wir alles tun können, essen ebenso wie arbeiten, Gäste empfangen oder Zeitung lesen. Der Tisch übernimmt in unserem Fall auch Repräsentationsfunktion. Man könnte noch weiter gehen und sagen, der Tisch ist das Wohnzimmer, also der Ort, an dem man sich trifft. Doch, doch, wir haben schon Sofas, aber die werden nur selten benützt.

Wenn man sich in Österreich im ländlichen Bereich die Einfamilienhäuser der 50er- und 60er-Jahre anschaut, die ja einen beträchtlichen Anteil an heimischer Bausubstanz ausmachen, dann sieht man recht deutlich, was alles falsch gemacht wurde. Es fehlt an jeglicher Großzügigkeit. Räume sollten ineinander übergehen. Letztendlich könnte man sagen, dass das Wohnzimmer jene Fläche ist, die alle anderen Räume miteinander verbindet, das hört auch im Flur oder in Nischen nicht auf.

Ein gutes Wohnzimmer ist eine Fläche, die den Wohnraum zusammenhält, kommunikations-, aber auch bewegungstechnisch.

Ein Haus ist kein Anzug

Ein Haus lässt diesbezüglich viel mehr Möglichkeiten offen, ist aber auch viel schwieriger zu planen als eine Wohnung, in der gewisse Grundrisse nicht veränderbar sind. Man kann diese Arbeit mit einer Psychoanalyse vergleichen, zumindest mit einer halben. Und das funktioniert nur mit Menschen, die man sehr gut kennt, oder mit Menschen, die einem vertrauen. Es geht um einen sehr zeitaufwändigen Dialog.

Ein Haus kann man nicht nach Rezept von oben nach unten oder unten nach oben bauen. Bei Einfamilienhäusern ist es nicht selten vorgekommen, dass wir das Projekt abgeblasen haben. Manche Menschen glauben, man könne ein Haus bestellen wie einen Anzug von der Stange. Dabei geht es um Gefühle, Atmosphären, Raumzusammenhänge, Licht, Orientierungen, Gewohnheiten, Nachbarschaften und vieles mehr. Darum gibt es auch kein ideales Wohnzimmer oder ein ideales Haus. Man kann sich dem nur, so gut es geht, annähern. (Michael Hausenblas, RONDO, 13.11.2015)