Die US-Choreografin Lucinda Childs bezieht sich in aktuellen Arbeiten auch auf expressionistische Malerei.

Foto: Cameron Wittiig

St. Pölten – Mit Lucinda Childs' Available Light – zur eigens geschaffenen Komposition Light Over Water von John Adams und in einem Bühnenbild von Frank O. Gehry – startete das Museum of Contemporary Art in Los Angeles 1983 sein öffentliches Programm. Die weltbekannte Choreografin arbeitete unter anderen mit Robert Wilson (erstmals für Einstein on the Beach, 1974), Luc Bondy (Salome) und Peter Stein (Moses und Aron). 1996 trat sie bei den Wiener Festwochen unter Wilson mit Michel Piccoli in Marguerite Duras' La Maladie de la mort auf. Ihr Stück Dance mit einem Film von Sol LeWitt war in Wien bei tanz2000.at zu sehen.

STANDARD: Wenn man auf Ihre Anfänge zurückschaut ...

Childs: (lacht) Ist ja auch nur fünfzig Jahre her!

STANDARD: ... haben Sie beim Judson Dance Theater in New York ab 1963 mit Objekten choreografiert. 1966 kam der Wechsel in Richtung eines rein bewegungsorientierten Tanzes. Warum?

Childs: Damals war alles sehr mit der Pop-Art-Bewegung verbunden, die aus Marcel Duchamps Idee des Found Object Andy Warhols Suppendosen machte. Und die minimalistische Bewegung wurde berühmt. Es schien, als ob ich zwei völlig verschiedene Ästhetiken verfolgte. Aber es gab auch Verbindungen. Ich hatte Judson, Cage und Pop Art mehr oder weniger erforscht, in diesem Zusammenhang 13 Stücke gemacht und wollte dann zur Bewegung und zu minimalistischen Aspekten wechseln.

STANDARD: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Robert Wilson?

Childs: Ich sah 1974 die erste Arbeit von ihm, A Letter for Queen Victoria. Damals arbeitete ich ohne Komponisten und Theater, nur in diesen Alternativräumen im obersten Stock irgendwelcher Häuser. Und Wilson hatte faszinierenderweise all die zeitgenössischen Visionen, obwohl er mit einem Komponisten in einem Theaterraum zusammenarbeitete. Wir haben uns einmal zufällig getroffen. Da wollte er wissen, ob ich Interesse hätte, in seinem Einstein zu performen.

STANDARD: "Einstein on the Beach" ist eine Oper. In Ihren Tanzstücken sparen Sie Erzählerisches aus, auch bei "Available Light". Gehry hat eine Bühne mit zwei Ebenen gebaut. Was hat es mit der Hierarchie von oben und unten auf sich?

Childs: Das ist für mich nur eine Aufteilung. Aber ich spüre, dass darin zusammen mit der Musik eine emotionale Qualität liegt. Man kann nur nicht genau sagen, welche. Und niemand muss über all die Mathematik und all das Zeug, das in dem Stück abläuft, Bescheid wissen.

STANDARD: Entspricht die emotionale Qualität ihres Stücks der abstrakten Malerei – beispielsweise dem Colourfield Painting eines Barnett Newman?

Childs: Solche Künstler hatte ich im Kopf, als ich das Stück machte. Die abstrakt expressionistische Bewegung. Newman bewegte sich ein bisschen außerhalb davon in die Welt des Minimalismus.

STANDARD: Sie beziehen doch auch eine spezifische Vorstellung vom menschlichen Körper ein?

Childs: Alles bleibt vertikal, weil der Tanz von einer einfachen Gehbalance kommt. Ich bin nicht interessiert an einem persönlichen Lucinda-Childs-Vokabular. Es ist etwas, das man identifizieren kann als ein Chassé, ein Glissé oder ein Gehen, ein Sprung, eine Drehung. Alles ziemlich einfach, aber die Art, wie es zusammengestellt ist, ist kompliziert.

STANDARD: Es geht also um Strukturen?

Childs: Ja, ähnlich wie bei Philip Glass, wenn er etwa in einem kleinen Arpeggio kleine Variationen findet, und es klingt gleich und repetitiv. Aber wenn man genau hinhört, ist da eine kleine Verschiebung. So etwas liebe ich.

STANDARD: Im Vergleich mit abstrakter Malerei ist es doch schwer, von abstraktem Tanz zu sprechen?

Childs: Ja. (lacht) Es geht ja um Menschen.

STANDARD: Warum hat der Tanz in den USA seit Ronald Reagan Finanzierungsprobleme?

Childs: Das hatte mit dem Steuersystem zu tun. Als es so schwer geworden ist, vor allem in den 1980ern und 1990ern mit all der Zensur, haben wir uns alle beschwert und Briefe geschrieben. Aber als Antwort kam: Wenn Sie unsere Regulierungen nicht wollen, nehmen sie eben das Geld nicht.

STANDARD: Welche Art von Zensur meinen Sie?

Childs: Einige Robert-Mapplethorpe-Ausstellungen wurden geschlossen. Daraufhin mussten wir angeben, was wir in unserer Arbeit nicht tun würden. Wir sagten, das ist Zensur, denn Künstler können tun, was sie wollen.

STANDARD: Ist es jetzt besser?

Childs: Nein. Es ist immer schwieriger geworden. Ich suche auch gar nicht mehr um Finanzierungen an. (INTERVIEW: Helmut Ploebst, 10.11.2015)