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Wahlplakat der HDZ.

Foto: APA/BAT

Dieses Jahr ist die Welt nach Tovarnik gekommen. Als Ungarn die Grenzen nach Serbien zumachte, kamen von einem Tag auf den anderen tausende Menschen in den Ort mit den zwei Cafés, der Tankstelle und dem Lokal, wo man Cevapi essen kann. Die Tovarniker standen staunend auf der Straße und sahen zu, wie die Polizei die Flüchtlinge in Busse geleitete, dann sammelten sie den Müll ein. Am nächsten Tag kamen wieder Tausende. Nur geblieben ist bislang kein Einziger. Prägt das Thema die Wahlen diesen Sonntag?

Josef Gross, 63, ein Landwirt, der in der Cevabdzinica sitzt, schüttelt den Kopf. "Die Flüchtlinge sind hier nicht wahlentscheidend", sagt er. Alle Leute hier würden ihnen helfen, egal ob Sozialdemokraten oder konservative HDZ-Wähler. "Die tun uns ja leid, die haben alles verloren", erklärt Gross. Die Leute hier in Slawonien wissen, was Flucht bedeutet.

Dieses Eck von Kroatien war zwischen 1991 und 1995 von serbischen Einheiten besetzt. Die Kroaten wurden vertrieben. Auch Herr Gross. Er kam erst nach zehn Jahren wieder zurück, verbrachte eine Zeit in Österreich und in Norwegen. Ein Teil seiner Familie musste bereits nach dem Zweiten Weltkrieg flüchten, denn seine Mutter Anna Gross kam aus einer deutschsprachigen Familie. Die "Schwabas" – wie man sie hier in der Region nennt – galten kollektiv als Verräter. Anna Gross hatte aber Glück und konnte in Jugoslawien bleiben. Deshalb hört Gross immer auch ein wenig seine Mutter, wenn jemand Deutsch spricht.

"Kommunisten sollen weg"

Er hofft, dass die HDZ gewinnen wird. In Slawonien wird traditionell eher rechts gewählt, das hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun. "Die Kommunisten sollen endlich weg", plädiert Gross für einen Machtwechsel – in den vergangenen vier Jahren führten die Sozialdemokraten die Regierung. "Die lieben ja Kroatien nicht einmal, die waren eigentlich für Jugoslawien. Und hier werden sie von den Serben gewählt, weil die sich dann mehr Chancen ausrechnen", sagt er. In Slawonien hallt der Krieg noch immer nach.

Den Umfragen zufolge wird die HDZ die Mehrheit der 151 Mandate im Parlament bekommen – etwa 66. Die Wahrscheinlichkeit einer Mitte-rechts-Regierung ist auch deshalb höher, weil die HDZ mehr Koalitionsoptionen hat. Zu den potenziellen Partnern gehören nicht nur die acht Mandatare, die die Minderheiten vertreten. Die Parteien zweier Politiker, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, jene des Bürgermeisters von Zagreb, Milan Bandic (Korruptionsvorwürfe), und jene von Exminister Radimir Cacic (Unfall mit Todesfolge) könnten auch mit der HDZ zusammenarbeiten. Die Sozialdemokraten (SDP) können nur mit der istrischen Regionalpartei IDS, die vielleicht drei Parlamentarier haben wird, rechnen.

Fraglich ist, wer überhaupt zur Wahl geht. In Zagreb haben viele jegliches Interesse an Politik verloren. Der 50-jährige Goran K. kann sich mit keiner Regierung anfreunden. Und die Flüchtlinge? Er findet, dass man ihnen helfen sollte, bedenkt aber, dass sich die demografische Struktur in Europa stark verändern wird. Was ihn am meisten besorgt, ist aber die tiefe Krise, in der Kroatien seit Jahren steckt – wirtschaftlich wie gesellschaftlich. "Es geht darum, ob es vorwärts oder 'rikverts' geht", sagt er und verwendet dabei das deutsche Wort "rückwärts". Dann zieht er seinen Hut zurecht und geht aus dem Einkaufszentrum, hinaus in den Regen.

Die 33-jährige Schauspielerin Maja S. wartet auf ihr Kind, das im Treppenhaus des Shoppingcenters hin und her läuft. Sie hat "Angst vor den Rechten", Angst davor, dass mit der HDZ jene an die Macht kommen, die gegen "Ausländer, Schwule und alle 'anderen' sind". Kroatien sei gespalten zwischen denen, die helfen wollen, und denen, für die Flüchtlinge potenzielle "Terroristen" seien. Maja will die grün angehauchte Partei Orah wählen.

Eine ältere Dame, die die Rolltreppe herunterfährt, glaubt, "dass die Amerikaner an der Flüchtlingskrise schuld sind". Und wählen? "Nein, wählen gehe ich schon lange nicht mehr", sagt sie.

(Adelheid Wölfl aus Zagreb, 7.11.2015)