Die neue "Vatileaks"-Affäre ist auf den ersten Blick ein Problem für die ohnehin nicht einwandfrei beleumundete Kurie und weniger eines für den Papst. Die Kirchenverwaltung zementiert ihren Ruf als Schlangengrube und barocker Hofstaat, während der Pontifex aus Argentinien vielen weiterhin als Lichtgestalt erscheint und tapfer eine "Mission impossible" verfolgt, nämlich die Schaffung einer "armen Kirche für die Armen".

Doch das zweidimensionale Bild hat Risse, denn der Papst trägt durchaus große Mitverantwortung an der Affäre, die drei Hauptprotagonisten kennt: die beiden "Maulwürfe" Lucio Ángel Vallejo Balda und Francesca Immacolata Chaouqui sowie den vatikanischen "Wirtschaftsminister", Kardinal George Pell. Alle drei wurden von Franziskus ernannt und erwiesen sich als eklatante Fehlbesetzungen. Schon stellt man sich im Vatikan hinter vorgehaltener Hand die bange Frage, wie viele Baldas, Chaouquis und Pells denn noch im Kirchenstaat herumgeistern.

"Vatileaks 2" wurde nur wenige Wochen nach einer Familiensynode aufgedeckt, die ebenfalls mit enttäuschten Hoffnungen endete – was Kritiker zur Bemerkung veranlasste, Franziskus werde wohl als "erster Reformpapst ohne Reformen" in die Kirchengeschichte eingehen. An Jorge Bergoglios ehrlicher, ernsthafter Absicht, die Kirche zu verändern, zweifelt weiterhin niemand – aber in einem gewissen Ausmaß ist er doch entzaubert. (Dominik Straub, 6.11.2015)