PRO: Von Freund zu Freund

von Karin Riss

Der Begriff ist hässlich. Die Absicht ist nicht ganz redlich. Dennoch ist es höchste Zeit, endlich darüber zu reden, wie unser Zusammenleben mit Flüchtlingen möglichst gut gelingen kann.

Sebastian Kurz greift die Ablehnung, die nicht nur rechte Hetzer Flüchtlingen entgegenbringen, auf und will zur "Werteschulung" verpflichten. Er nimmt in Kauf, dass Menschen mit Vorbehalten gegenüber Flüchtlingen darunter verstehen: Wir zeigen denen, wo's langgeht. Im Tonfall der Überlegenheit. So soll es nicht sein.

Aber warum soll, wer sich nicht über andere erheben will und Hilfe für Menschen in Not als selbstverständlich erachtet, nicht auf Regeln hinweisen, die hierzulande gelten? Oder umgekehrt: Wie soll sich jemand, der die Regeln nicht kennt, an diese halten? Es ist ja nicht so, dass halb Österreich in Kontakt mit Leuten aus patriarchalen Ländern steht und ihnen von Freund zu Freund erklärt, dass Frauen hier nun mal die gleichen Rechte haben wie Männer und wir keinen Millimeter davon zurückweichen werden.

Der Werte-Schnellsiedekurs allein wird nichts daran ändern, dass manche Muslimin einem Mann nicht die Hand schüttelt. Es liegt an uns allen, Neuem offen zu begegnen, dabei aber unangenehme Themen nicht auszusparen. Das ist sauschwer. Aber notwendig. Und heißt nicht, dass jeder Muslim jetzt Schweinsschnitzel essen muss. Aber Müll trennen soll er. Und das lernt er besser heute als morgen. (Karin Riss, 5.11.2015)

KONTRA: Unglaubwürdige Maßnahme

von Irene Brickner

Pflichtübungen, um gesellschaftliche Werte zu vermitteln, seien wenig sinnvoll, das wisse man aus dem Religionsunterricht. Noch kontraproduktiver seien Sanktionsandrohungen für Wertevermittlungsmuffel. Sie würden diese nur zu Heuchelei – sprich Scheinanpassung – verführen.

So weit die gängigen Einwände gegen Pläne für Werteschulungen oder -prüfungen, wie es sie bei einbürgerungswilligen Ausländern in Österreich schon länger gibt – und die künftig auch Menschen durchlaufen sollen, die in Österreich Schutz erhalten. Auch wenn an diesen Argumenten einiges dran ist: Das grundlegende Problem der Flüchtlingseintagesworkshops treffen sie nicht.

Dieses liegt vielmehr in der Unglaubwürdigkeit einer solchen Maßnahme. Was nutzen beredte Seminare über Rechte und Pflichten in Österreich, wenn jenen, die sich das anhören müssen, gleichzeitig die Rechtssicherheit fehlt? Weil sie nur auf drei Jahre befristet asylrechtlichen Schutz bekommen haben und ihre Chancen, ihre nächsten Verwandten nach Österreich nachzuholen, gleich null sind.

Beides, Asyl auf Zeit und erschwerte Familienzusammenführung, will die Regierung baldigst beschließen. Mit der Folge, dass sich viele Flüchtlinge in Österreich künftig noch fremder fühlen werden als jetzt. Das fördert Parallelgesellschaften und Desintegration – egal wie gut die Wertecrashkurse sind. (Irene Brickner, 5.11.2015)