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Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ... Schon im September protestierten Greenpeace-Aktivisten vor dem VW-Werk in Wolfsburg mit dieser Pinocchio-Figur.

Foto: AP/Stratenschulte

Sigmar Gabriel, SPD-Chef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler in Deutschland, gilt in Berlin eher als Sonnyboy denn als Griesgram. Und so schaffte er es am Mittwoch, der neuen Dimension des VW-Skandals noch eine positive Seite abzugewinnen: "Das ist ein Beweis dafür, dass sie es ernst nehmen."

Gabriel bezog sich damit auf die VW-Hiobsbotschaft, die am Abend zuvor bekannt geworden war. Bei Europas größtem Autokonzern gibt es auch beim Kohlendioxid-Ausstoß Unregelmäßigkeiten, die tatsächlichen Werte liegen höher als angegeben. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten davon betroffen sein – Dieselfahrzeuge und erstmals auch 98.000 Benziner, deren Spritverbrauch höher liegt, als die Kfz-Halter bisher angenommen haben.

Diesmal kamen die schlechten Nachrichten nicht aus den USA. Dort hatte die Umweltbehörde EPA ja im September Alarm geschlagen und aufgedeckt, dass VW bei Abgastests mit Softwarehilfe die Ergebnisse für Dieselmotoren manipuliert hatte.

Auch Blue-Motion-Serie betroffen

Eines Außenstehenden bedurfte es diesmal nicht, die Tricksereien beim CO2-Ausstoß hat VW selbst eingeräumt. Betroffen sind nach Konzernangaben Autos der Typen Polo, Golf und Passat, und zwar auch Fahrzeuge mit Blue-Motion-Technologie, die VW als besonders verbrauchs- und emissionsarm bewirbt. Bei der VW-Tochter Audi handelt es sich um A1- und A3-Modelle, bei Škoda um den Octavia und bei Seat um den Leon und den Ibiza.

Auf die Unregelmäßigkeiten ist man in Wolfsburg bei internen Überprüfungen gestoßen – woraus Vizekanzler Gabriel eben schlussfolgert, dass man es dort mit der Aufklärung sehr ernst nimmt.

Die Politik ist alarmiert. Sie bangt nicht nur um ein Wirtschaftsflaggschiff, dessen Aktienkurs erneut massiv – zeitweise um elf Prozent – einbrach, sondern auch um die Zulieferindustrie und die Marke "Made in Germany". VW hatte für die Aufarbeitung des Skandals um Abgasmanipulationen bereits 6,5 Milliarden Euro rückgestellt. Jetzt kommen zwei Milliarden Euro dazu.

Die Strafe folgt auf den Fuß: Die US-Ratingagentur Moody's hat VW für langfristige Verbindlichkeiten von A2 auf A3 herabgestuft und droht mit einer weiteren Senkung der Bonitätsnote.

Kein Schaden für Kunden

Es könnte auch bei der Steuer teuer werden. In Deutschland hängt die Höhe der Kfz-Steuer für Pkws mit Erstzulassungsdatum ab 1. Juli 2009 auch am CO2-Ausstoß. Durch die Manipulationen dürften Kfz-Steuern für Autos aus dem VW-Konzern zu niedrig angesetzt worden sein.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) warnte das VW-Management am Mittwoch und erklärte, er sehe "VW in der Pflicht". Von den 800.000 Kfz seien rund 200.000 in Deutschland auf der Straße. Etwaige Mehrkosten, die jetzt bei der Kfz-Steuer aufkommen könnten, dürften nicht auf die Autokäufer abgewälzt werden.

Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangt vollständige Aufklärung. "Man muss erwarten, dass Aussagen, die Verbrauchern gemacht werden, auch eingehalten werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Man erwartet in Berlin, dass die Strukturen bei VW so verändert werden, dass derartige Vorfälle nicht mehr passieren können. Für Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach ist es kaum vorstellbar, dass "nur einfache Angestellte und Softwareprogrammierer" von den Manipulationen gewusst haben.

In den USA muss VW zudem 91.800 Fahrzeuge wegen Problemen an der Nockenwelle zurückrufen. Betroffen sind unter anderem Benziner vom Typ Jetta, Passat, Beetle und Golf der Modelljahre 2015 und 2016. Und Audi stoppte den Verkauf weiterer Dieselautos in den USA: Es handelt sich um Fahrzeuge der Reihen A8, A7, A6, Q7 und Q5 – alle mit dem von der US-Umweltbehörde angezweifelten Drei-Liter-TDI-Motor. (Birgit Baumann aus Berlin, 4.11.2015)