Man mag es angesichts der derzeitigen Situation kaum glauben, aber Österreich ist in der Aufnahme und Integration von Geflüchteten geübt und bisher auch sehr erfolgreich gewesen. Einer der größten Erfolge der Nachkriegsgeschichte war gewiss die Integration der bosnischen Flüchtlinge in den Jahren 1992 bis 1995.

"De-facto-Aktion"

Zu verdanken war dieser Erfolg vor allem der "De-facto-Aktion", einer Maßnahme, die zwischen 1992 und 1998 in Kraft war. "De facto" bezog sich dabei auf die faktische Gleichstellung der Kriegsflüchtlinge mit Flüchtlingen gemäß der Genfer Konvention. Damit nahm man die Bosnier aus dem trägen Asylverfahrenssystem bewusst heraus, gewährte ihnen Schutz und integrierte sie sukzessive in den Arbeitsmarkt. Hätten sie als Asylwerber jahrelang auf den positiven Entscheid gewartet, wäre diese Integration nicht möglich gewesen. "Es war daher unbedingt notwendig, eine dem Asylverfahren parallele Struktur für die Abwicklung der Unterstützungsaktion für bosnische Kriegsvertriebene zu schaffen", sagt der für die "De-facto-Aktion" verantwortliche Helmut Kodydek.

Insgesamt wurden bis 1995 rund 95.000 Kriegsvertriebene aus Bosnien aufgenommen. Die De-facto-Aktion wurde im August 1998 offiziell beendet. Zwischen 1992 und 1998 gelang es, etwa 60.000 Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Laut Innenministerium kehrten rund 11.000 weitere nach Bosnien-Herzegowina zurück, der Rest dürfte in andere Länder weitergezogen sein. Eine Erfolgsgeschichte also, aus der man in der aktuellen Krise lernen kann und unbedingt sollte.

Erschwerte Bedingungen

Einige aktuelle Rahmenbedingen unterscheiden sich natürlich von jenen vor 20 Jahren. Die Zahl der Geflüchteten, die sich auf den Weg machen, ist wesentlich größer, und sie wird wachsen. Die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien fanden zum Teil Anschluss in den Communitys der ehemaligen Gastarbeiter; derartige Strukturen gibt es für Syrer und Afghanen kaum. Außerdem ist die Stimmung in der Mehrheitsbevölkerung eine andere, und die Situation auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls.

Die Angst regiert

Während damals die Bosnier in vielen Arbeitsmarktsegmenten willkommen waren und im ORF die Aktion "Nachbar in Not" großen Anklang fand, regiert heutzutage Angst die öffentliche Debatte. Zunächst ist es die zum Teil berechtigte Angst der schlecht Qualifizierten vor einer weiteren Verschärfung der Arbeitsmarktsituation. Dann die von diffusen Gerüchten befeuerte Angst vor eingeschleusten IS-Terroristen. Und schließlich die Angst vor dem Versagen der offenkundig überforderten politischen Entscheidungsträger.

Doch gerade wegen der erschwerten Ausgangslage sollten aus den Lösungen der letzen großen Flüchtlingswelle der 1990er-Jahre dringend Lehren gezogen werden: Offensive und offene Kommunikation und konstruktive Zusammenarbeit bringen alle Beteiligten wesentlich weiter als etwa das tagelange Herumwursteln um "bauliche Sondermaßnahmen". Schnelle Asylverfahren oder eben bewusst gesetzte Ausnahmeregelungen bringen schnellere Integration. Offenes Kommunizieren der Flüchtlingszahlen und Asylanträge nimmt Angst vor der diffusen "Welle, die uns überrollt". Weniger Bürokratie bringt schnellere Lösungen in Sachen Notunterbringung, Registrierung und Weiterreise. Das überforderte Innenministerium täte gut daran, ähnlich wie in der Bosnien-Krise diese Bereiche den NGOs und Privatinitiativen zu überantworten.

Herumwursteln

Stattdessen erleben wir lediglich Herumwursteln. Sei es verbales, auf vermeintliche Signalwirkung (im Klartext: Beschwichtigung der Kritischen und Besorgten) ausgerichtetes Reden über "Festung Europa", "Schutz der Souveränität" und "Werteschulungen". Oder gesetzgeberisches Herumwursteln in Form einer Asylgesetznovelle, die die Asylsuchenden auf eine noch längere Wartebank schiebt.

Unabhängig davon, ob sich EU-Länder auf eine sinnvolle Quotenregelung einigen (und diese befolgt wird), und unabhängig davon, wie lange Österreich noch ein Transitland bleibt, sollten alle Beteiligten der Tatsache ins Auge sehen, dass noch mehr Menschen kommen werden, die Schutz und eine neue Heimat suchen. Österreich kann die Grenzen nicht dichtmachen. Also, Schluss mit dem Herumwursteln, packen wir es an. (Olivera Stajić, 5.11.2015)