Wider den "extrem blöden Reinlichkeitswahn" richtet sich die Kunst von Hermann Nitsch: etwa dieses "Schüttbild" aus dem Sommer 2015.

Foto: Manfred Thumberger

Wien – "Nichts Sinnliches" habe sie, unsere "Pseudokultur", sagt der Künstler Hermann Nitsch. "Da sitzen fünf junge Madeln beieinander und jede beschäftigt sich nur mit ihrer Gehirnprothese!" Gemeint ist das Smartphone, als nur eines von vielen Zeichen einer neuen Körperlosigkeit. Einer Zeit, in der Finger allzu oft nur dazu dienen, auf glatten Oberflächen herumwischend ein grundgereinigtes Leben fernzusteuern. Um "sinnliche Intensität" geht es dagegen Nitsch. Eigentlich sogar um "totale sinnliche Intensität".

Schließlich eignen sich Finger auch vorzüglich dazu, sie sich schmutzig zu machen. Man kann mit ihnen etwa in Tiereingeweiden wühlen. Ein Angebot, dieserart auf Tuchfühlung mit der vergessenen Körperwelt, ihrer Haptik und ihren Gerüchen, zu gehen, macht Nitsch (geb. 1938) bekanntlich seit mehreren Jahrzehnten mit seiner Kunst, insbesondere dem Orgien-Mysterien-Theater. In dreitägigen Zeremonien auf seinem Schloss in Prinzendorf werden Teilnehmer mit allem konfrontiert, was die Zivilisation ihren Pappenheimern gerne ersparen möchte. Zwischen eigenhändig geöffneten toten Tierkörpern, Schleim und Blut findet der Mensch zurück zu seiner "Raubtierhaftigkeit".

Beim Abstieg von der Evolutionsleiter nicht hudeln

Beim Abstieg von der Evolutionsleiter sollte man aber nicht hudeln. Und so dient als Vorstufe innerhalb der großangelegten Zeremonie die Malerei. Bevor es ans Ausweiden geht, wird erst einmal mit beiden Händen im Farbschlamm gewühlt.

Um die dabei entstehenden Bilder dreht sich die Ausstellung Hermann Nitsch auf den Spuren von Sigmund Freud in den Räumlichkeiten der Nitsch-Foundation. Hingespritzt oder als zäh wälzende Ursuppe breitet sich roter, brauner, schwarzer, grüner, blauer Gatsch aus. "Seismografien unserer nahezu totalen sinnlichen Erregung", nennt Nitsch diese Bilder, die durchwurlt sind von schnörkeligen Handwischspuren.

Sie zeugen von Fingerübungen, Greif-Etüden für die Begegnung mit dem Geist selbst. Denn nicht zuletzt darum geht es beim Orgien-Mysterien-Theater: Auch wenn man den Geist nicht direkt berühren kann, so fühlt man ihn in der Begegnung mit dem Fleisch, das von geistigen Strukturen durchdrungen ist, lautet eine philosophische Prämisse Nitschs. Sein Theater sei deshalb auch alles andere als eine Hintergehung des Geistes.

In der aktuellen Schau drängt sich die Frage auf, inwieweit Nitschs Bilder außerhalb ihres zeremoniellen Kontextes die Intensität bewahren können – ob sie nicht selbst wiederum eher gereinigt daherkommen. Unmittelbar berührend, auch auf den Betrachter, wirkt vornehmlich ein Bild aus dem Jahr 1995: Mit seiner hellbraun-gelblich-rötlichen Farbigkeit und bröckeliger Materialität wirkt es, als seien hier Kot und Blut verwendet worden.

Kot und Götter

Es ist im übrigen auch jenes Bild, das explizit auf Freud bezogen ist. Es erinnert an das Kotschmieren des Kindes, das Freud in seiner Abhandlung Das Unbehagen in der Kultur beschreibt; Nitsch zitiert dies als einen "prometheischen Akt", als Aufstand gegen die Eltern-Götter. Eine andere Brücke zu Freud schlägt die Ausstellung über die écriture automatique, also das automatische, unbewusste Schreiben der Surrealisten. Immer habe dieses Ansinnen scheitern müssen an Grammatik oder technischer Struktur der Sprache. Erst über die Malerei gelange man weit mehr ins Unbewusste, sagt Nitsch.

Wie auch immer: Man geht nicht fehl, wenn man den Titel Auf den Spuren von Sigmund Freud für leicht beliebig hält. Das Unbewusste, das Widerspiel von Es und Über-Ich, die Tabus treiben Nitsch schon immer um. Genau genommen sei sein gesamtes Werk ohne Freud nicht denkbar, versichert der Künstler. Und abgesehen davon, dass Nitsch "die Menschen von ihren Verdrängungen befreien" will, dürfte Freud dann auch noch einen werbetechnisch zugkräftigen Namen abgeben für jene, denen Nitsch entweder nicht bekannt oder nicht geheuer ist. (Roman Gerold, 5.11.2015)