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Viele Kinder treten zwangsläufig in die Fußstapfen ihrer Eltern: Bildungsniveau – und damit Einkommenschancen – werden vererbt.

Foto: Reuters / Pfaffenbach

Wien – Bildung kann Leben retten: Akademiker werden laut Statistik Austria im Schnitt um sieben (Männer) beziehungsweise 2,8 Jahre (Frauen) älter als Pflichtschulabsolventen. Die Tatsache, dass Bildungschancen hierzulande vererbt werden, mache dies zum "Skandal", sagt Karl Aiginger. Im Endeffekt entscheide das Einkommen der Eltern, so der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo), ob jemand um Jahre früher oder später stirbt.

Ungleichheit auf Höchststand

Dieser und anderen Ungerechtigkeiten widmeten sich Aiginger und andere Experten auf Einladung des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger. Generalthema der diesjährigen "Sozialstaatsenquete" war die Ungleichheit in der Einkommensverteilung – ein massiv gewachsenes Problem, wie OECD-Ökonom Michael Förster sagt: In den westlichen Industriestaaten habe die Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen die größte Dimension "seit 30, 40 Jahren" erreicht. Als Gründe nennt Förster die sinkende Zahl von Vollzeitjobs, aber auch den Umstand, dass viele Staaten die Umverteilung zurückgefahren hätten.

Das spürt nicht nur der einzelne Betroffene, sondern die gesamte Wirtschaft, der die Kaufkraft einer besonders konsumträchtigen Gruppe wegbricht: Während Wohlhabende viel Geld auf die hohe Kante legen, geben Schlechtverdiener ihr Einkommen zwangsläufig zu einem Großteil aus. Die wachsende Ungleichheit habe in den 20 Jahren vor der Krise fünf Prozent an Wachstum gekostet, rechnet Forster vor. Ebenfalls Schaden nehme das Sozialsystem, das etwa in Österreich die Schieflage der Markteinkommen stark ausgleicht: Kranken- und Pensionsversicherung kämpften auch deshalb mit Finanzierungsproblemen, weil analog zu den Einkommen die Versicherungsbeiträge schwach ausfallen.

Mehr Anreiz für Arbeit

Was sich, auf Österreich umgelegt, dagegen tun lässt? Der OECD-Ökonom empfiehlt, mehr Anreize zum Arbeiten in das Steuer- und Sozialsystem einzubauen. Am Beispiel Mindestsicherung: Von einem kleinen Freibetrag abgesehen wird jeder Euro, den ein Bezieher dazuverdient, im Gegenzug von der Sozialleistung abgezogen – kein großer Ansporn, einen (Vollzeit-)Job anzunehmen. Förster rät zu großzügigeren "Einschleifregelungen"; Ähnliches überlegt das Sozialministerium.

Auch die Arbeitsmarktpolitik ist aus OECD-Sicht reformbedürftig. Statt einen Betroffenen sofort sich allein zu überlassen, wenn er einen Job findet, brauchte es längerfristige Begleitung – um die nächste Phase von Arbeitslosigkeit im Vorhinein zu verhindern.

Nachträgliche Reparatur ist teuer

Vor allem aber müsse massiv in die Bildung investiert werden, fordern die Experten. Von der Kinderkrippe aufwärts brauche es ganztägige Angebote, um nicht nur soziale Startnachteile der Kinder auszugleichen, sondern auch Frauen die Chance zu geben, den hierzulande besonders großen Einkommensrückstand auf die Männer aufzuholen. Statt teure Sozialleistungen für nachträgliche Linderung auszubauen, müsse der Staat frühzeitig gegen die Einkommenskluft vorgehen, sagt Wifo-Chef Aiginger – "und zwar schon ab dem Vorschulalter". (Gerald John, 5.11.2015)