imago

Bildung ist der ÖVP ein Herzensanliegen. Vor allem in der Hinsicht, dass sich dort möglichst wenig ändern soll – auf dass die schwarze Lehrergewerkschaft nur ja keinen Grund zur Klage hat. Wie es Eltern und Kindern damit ergeht, ist offenbar, frei nach Hans Krankl, eher primär.

Die jüngste diesbezügliche Aufwallung kam von der Wiener ÖVP beziehungsweise ihrem auch schon wieder verblühten Ex-Spitzenkandidaten Manfred Juraczka. Der hatte sich nicht nur auf die Fahnen geheftet, zigtausende Arbeitsplätze "zu schaffen" (eine Hybris, welche ihm nicht einmal eingefleischte Schwarz-Wähler durchgehen ließen), sondern er wollte auch "das Gymnasium retten". Auch das blieb unbedankt, der Wahlausgang ist bekannt – aber das Thema selbst ist zu wichtig, um es abzuhaken.

Jahr für Jahr plagt Eltern von Drittklässlern die Frage: Wird mein Kind das kommende Jahr so mit Bravour bestehen, dass es in ein Gymnasium, genauer: in eine allgemeinbildende höhere Schule, gehen kann? Welches Gymnasium wird es sein? Was, wenn irgendwas schiefgeht? Weil, so haben wir gelernt: bloß nicht in die Mittelschule, denn dann ist das Kind gezeichnet fürs Leben.

Vorurteile und Standesdünkel

Nun stimmt das so natürlich nicht – Mittelschule ist nicht gleich Mittelschule. Es gibt solche, wo die Qualität der Lehre und das Bildungsniveau der Kinder in negativer Hinsicht Hand in Hand gehen. Das muss sich rasch ändern, an diese "Problemschulen" gehören top ausgebildete, super motivierte Pädagogen, die dann auch freie Hand haben, aus dem Problem eine Lösung zu machen. Ansätze gibt es – und es gibt hervorragende Lehrer, die täglich, weitgehend unbedankt, ihr Bestes geben.

Zudem kann die Mittelschule eine gute Alternative zum Gymnasium sein, wenn man bereit ist, sich einzugestehen, dass das eigene Kind noch ein bisschen mehr Betreuung und auch Zeit braucht, um Lehrinhalte zu verdauen. Das muss noch lange nicht heißen, dass der Weg zu Oberstufenrealgymnasium und Matura versperrt bleibt – sollte er zumindest nicht, wenn das System sich bequemt, diesbezüglich etwas durchlässiger und weniger dünkelhaft zu sein.

Spaß am Lernen

Bevor jetzt alle wieder "Skandal" schreien: Ja, es gibt auch gute AHS mit fitten, interessierten und den Kindern zugewandten Lehrerinnen und Lehrern, mit individuellen Schwerpunkten und moderner Pädagogik, mit genügend Raum für Lehrer und Schüler und mit einer Atmosphäre, in der Lernen Spaß macht.

Wer sich allerdings umhört, merkt rasch: Negative Erfahrungen überwiegen. Wer ins Gymnasium geht, muss – vor allem als Elternteil – auf Déjà-vus gefasst sein: Offenbar hat sich in einigen dieser höheren Schulen seit Jahrzehnten kaum etwas verändert. Eltern erzählen von Professorinnen, die beim Einführungsabend stolz erzählen, dass sie E-Mails prinzipiell nicht beantworten, weil sie das "neumodische Zeugs" verweigern. Ob es etwas nützt, telefonisch in der Kanzlei oder im Lehrerzimmer um Rückruf zu bitten, kann die Frau Professor auch nicht sagen. Wer sie wirklich zuverlässig erreichen möchte, muss schon in die Sprechstunde kommen. Wie bitte? Berufstätig? Dann nehmen Sie sich halt frei, das wird Ihnen Ihr Kind ja wohl wert sein.

Den Spaß verlernen

Apropos berufstätig: An einer AHS in Wien kämpften Eltern jahrelang für Nachmittagsbetreuung in der Unterstufe. In diesem Herbst sollte es endlich so weit sein, mit ein paar kleinen Einschränkungen: kein Freizeitprogramm, keine Hilfe bei der Hausübung, keine individuelle Förderung. Komischerweise organisierten sich dann viele Eltern die Nachmittagsbetreuung lieber weiterhin selbst.

Ein Highlight ist auch die Geschichte jener Frau Professor, die in der zweiten Unterrichtsstunde Biologie die Schüler aufforderte, sich für eine Wiederholung vor der gesamten Klasse zu melden. Als ein Mädchen dies tat in der irrigen Annahme, das laufe so wie in der Volksschule (zwangloses Gespräch), wurde es beinhart abgeprüft und mit einem Minus bedacht – mit dem Erfolg, dass die Schülerin den Gegenstand seither hasst.

So wie jener Schüler, dessen Turnlehrer die Buben damit zu sportlichen Höchstleistungen "motiviert", dass er sie zu Versagern stempelt, wenn sie ein Limit nicht erreichen.

Druck auf Neue

Diese Geschichten sind alle wirklich geschehen. Selbstredend wollen die betroffenen Eltern nicht namentlich genannt werden – sie fürchten Repressionen für ihre Kinder. Auch Angst gehört zu einem System, das sich nicht erneuern mag. Genauso wie in ihren wohlerworbenen Rechten erstarrte Lehrpersonen, die Kinder schon längst nicht mehr mögen, sondern als Belastung betrachten – und die kein Schuldirektor je wieder loswird, es sei denn, sie leisten sich noch gravierendere Verfehlungen.

Darüber muss offen gesprochen werden, wenn sich das Schulsystem in Österreich verändern und verbessern soll. Nirgendwo ist der Frust so groß wie in den Unterstufen des Landes.

Auch die Gewerkschaft öffentlicher Dienst sollte hinterfragen, wen sie hier eigentlich schützt. Sicherlich nicht jene Menschen, die ihren Beruf mit Enthusiasmus, Engagement und Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausüben. Im Gegenteil: Es gibt Schulen, an denen der Anpassungsdruck auf Junglehrerinnen und -lehrer so groß ist, dass sie schnell aufgeben – oder doch lieber den Beruf wechseln. Solche Gymnasien sind nicht zu retten – und sollten auch nicht gerettet werden. Sie verleiden Bildung, statt sie zu fördern. (Petra Stuiber, 4.11.2015)