Wilfried Siehn: "Ich sehe in Industrie 4.0 eine große Chance für KMUs."

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Das Thema Industrie 4.0 beschäftigt auch Logistiker. Während manche befürchten, dass dadurch Arbeitsplätze verlorengehen, sehen einige – darunter Wilfried Sihn – hervorragende Möglichkeiten vor allem für Klein- und Mittelbetriebe.

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STANDARD: Ursprünglich aus Stuttgart kommend, bringen Sie nun schon seit vielen Jahren "Logistik" unter die Österreicher – nach wie vor mit Begeisterung?

Sihn: Natürlich. Ich denke, nur wenn man sich für ein Thema ehrlich begeistern kann, kann man auch andere Menschen von dessen Bedeutung überzeugen. Daher möchte ich – in meiner Rolle als Professor an der TU Wien sowie als Geschäftsführer von Fraunhofer Austria – meine Studenten sowie Österreichs Wirtschaft motivieren und unterstützen, die vielfältigen Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten der Logistik bestmöglich zu nutzen.

STANDARD: Bleibt Ihnen überhaupt noch Zeit, um an einzelnen Projekten zu forschen?

Sihn: Ich würde mich selber eher als Forschungsmanager beschreiben: Ich bringe Ideen ein, stelle Kontakte zwischen Spezialisten und Anwendern her und knüpfe Netzwerke. Eine Forschungsorganisation wie Fraunhofer Austria braucht sowohl die Spezialisten in ihren Fachgebieten als auch die breiter aufgestellten Forschungsmanager.

STANDARD: Welchen Nutzen kann die Logistikbranche aus Industrie 4.0 ziehen?

Sihn: Zum einen sollen Prozesse in Produktion und Logistik intelligenter, schneller, kostengünstiger etc. werden. Durch Vernetzung von Produkten, Daten und Menschen werden die Effizienz und die Flexibilität gesteigert und die Herstellung von Losgröße 1 zu Konditionen der Serienfertigung ermöglicht. Durch die Gewinnung vielfältiger Daten lassen sich innovative Service-Angebote und Produkte entwickeln, die schließlich zu innovativen Geschäftsmodellen führen.

STANDARD: Geraten da nicht Klein- und Mittelbetriebe unter die Räder?

Sihn: Ganz im Gegenteil – ich sehe in Industrie 4.0 eine große Chance für KMUs. Stehen erst einmal die geeigneten Strukturen zur Verfügung – beispielsweise die Plattform Industrie 4.0, die KMUs dabei unterstützt, neue Lösungen zu realisieren -, dann ergeben sich neue, spannende Geschäftsbereiche. Voraussetzung ist, die KMUs von Beginn an einzubinden. Hierfür steht Fraunhofer Austria in regem Austausch mit österreichischen KMUs.

STANDARD: Logistik und Produktion wachsen immer enger zusammen – ein Überlebensrezept für Industriebetriebe?

Sihn: Die synchrone Planung von Produktion und Logistik birgt großes Potenzial für Kosteneinsparungen. Um dieses Potenzial genauer benennen zu können, haben Wissenschafts- und Unternehmenspartner unter der Leitung der TU Wien das Forschungsprojekt "i-plan PL" durchgeführt. Hier wurde ein Lösungsansatz ermittelt, der die gemeinsame Planung von Distributions-, Produktions- und Beschaffungslogistikprozessen sowie der Lagerlogis-tik- und Materialwirtschaft ermöglicht.

STANDARD: Was bedeutet dies für Logistikdienstleister, was raten Sie denen für die Zukunft?

Sihn: Ich rate den Logistikdienstleistern sich, damit anzufreunden, dass sich die Logistikwelt stark verändern wird. Intelligenz hält Einzug, Prozesse verändern sich und werden neu gestaltet. Ein weiterer Punkt ist die Entwicklung hin zu geringeren Los- bzw. Sendungsgrößen, etwa durch Online-Bestellungen direkt beim Hersteller. Intelligente Bündelungskonzepte sowie enge Kooperationen zwischen dem produzierenden und dem transportierenden Gewerbe werden dadurch notwendig.

STANDARD: Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema Mobilität. Wie wird diese in Zukunft aussehen?

Sihn: Wir brauchen flexible Mobilitätskonzepte, die verschiedene Verkehrsträger – vom Lastwagen über das Schiff bis hin zum Zug – optimal miteinander kombinieren. In Zukunft wird außerdem die Bedeutung von Logistik 4.0, also zunehmender Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, sowie von Elektromobilität deutlich zunehmen. Auch die Tendenz in Richtung selbststeuernder Fahrzeuge ist nicht mehr aufzuhalten. (Max Huber, 4.11.2015)