Hot springs. Wer hätte gedacht, wie belebend allein diese zwei kleinen Worte sein können – wie verheißungsvoll deren Ankündigung. "On day four of your trail, in the evening, you will arrive at the hot springs." Hurra! Wir konnten es kaum erwarten. Endlich im warmen Wasser baden, vielleicht Haare waschen, die teils recht verkrampften Muskelpartien lockern ...

Jeden Abend beim Zähneputzen vor unseren Zelten sprachen wir davon, malten uns aus, wie luxuriös wir uns fühlen würden. Nicht, dass wir bis dahin nicht jede Sekunde unserer Reise genossen hätten. Reiten in Kirgistan, das ist schon etwas Besonderes, auch für Leute, die Reiterreisen per se für nichts Exotisches halten. Aber Kirgistan? Erstens: Wo liegt das? Zweitens: Was gibt es dort zu sehen?

Frei lebende Pferdeherden sind der Stolz kirgisischer Schäfer. Verkauft werden sie selten, man hat Pferde, um sie zu haben.
Foto: Ingeborg Sperl

Eine Menge, wie wir nach vier Tagen auf dem Rücken hervorragender kirgisischer Pferde bereits wussten. Gestartet waren wir in Barskoon, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Karakol am Südufer des Yssykköl-Sees. Unsere Tour "auf Schäferspfaden" durch die Bergwelt von Kirgistan hatte nach einem steilen Aufstieg ins Tianshan-Gebirge unsere Erwartungen übertroffen: senkrechte Felswände, mächtige Gletscher, halsbrecherische Wege, weite, hochalpine Wiesen, bedeckt mit einem blauweißen Meer von Enzian und Edelweiß, reißende Bäche. Dazwischen Herden wildlebender Pferde, Rinder, Yaks und Schafe – und vereinzelt Schäfer, die uns in ihre Jurten einluden.

Als wir am späten Nachmittag des vierten Tages nach sieben Stunden im Sattel (drei davon im Nieselregen) endlich an eine Flussbiegung kamen, in deren Wölbung eine saftig-sumpfige Wiese und mehrere leicht verfallene Gebäude auftauchten, drehte sich Maksat, unser Führer, um und verkündete freudestrahlend: "Hot springs!" Als wir sie nach mehrmaligem Nachfragen nicht ausmachen konnten oder wollten, deutete er mit leichter Ungeduld auf ein Betonhüttchen mit halb eingedrücktem Wellblechdach: "Here!"

Bild nicht mehr verfügbar.

Imposante, aber nur scheinbar unberührte Natur findet man im Tianshan-Gebirge – am besten auf dem Rücken kirgisischer Pferde.
Foto: Corbis/James Strachan

Was, da?! Wir sahen warmes Bad, Haarwäsche und Entspannung den schmutzig-beigen Fluss hinunterschwimmen. Tatsächlich war die heiße Quelle nicht das, was verwöhnte Europäer unter Wellness verstehen. Die Schäfersfrau sperrte die Hütte mit einem rostigen Schlüssel auf. Aus dem steinernen Becken im Boden dampfte es schwefelig. Als wir die Zehen hineinsteckten, zogen wir sie gleich wieder zurück: 60 bis 70 Grad, so unsere unwissenschaftliche Schätzung, hatte das Schwefelwasser mindestens – zu viel für uns, trotz Aua da und dort.

Köstliches vom Schaf

Die Enttäuschung der heißen Quelle war freilich nichts gegen den darauf folgenden Schrecken, den uns die Einladung der Schäfersfamilie versetzte. Gastfreundlich, wie Kirgisen sind, ruhte sie nicht, bevor wir die gesamte Palette der Köstlichkeiten probiert hatten: Nudelsuppe (vom Schaf), Fingerfood (vom Schaf), geschmorten Schafskopf, gekochtes Schafshaxerl. Blöd nur, dass mein Versuch zwei Tage zuvor, die extra importierte Wodkaflasche in einem Gebirgsbach zu kühlen, damit geendet hatte, dass die Flasche mit der Strömung perdu ging. An dem Abend nach dem "Wellnessbad mit Dinner" gewann ich in der Gruppe keinen Beliebtheitspreis.

Nach diesem Ausflug in die kirgisische Schäferidylle wussten wir die Natur pur umso mehr zu schätzen. Maksat, unser Führer, und Janybek, der Dolmetscher, erwiesen sich nicht nur als angenehme und zuverlässige Begleitung, sondern auch als ausgezeichnete Köche, die auf empfindsame europäische Mägen Rücksicht nahmen. Wir genossen unsere Picknicks auf Almböden, zwischen Kuhfladen, Schafsbemmerln und Edelweiß, wir lernten, wie man binnen Minuten ein Zweipersonenzelt so aufstellt, dass es nicht vom ersten Windstoß erledigt wird. Wir wuschen uns in Bächen und gewöhnten uns an die Höhe – zehn Tage lang zwischen 3.000 und 4.000 Metern Seehöhe sind schließlich keine Kleinigkeit, selbst wenn man von Pferden getragen wird.

Keine Angst: Diesem Pferd geht es auch nach einem Sieben-Stunden-Ritt gut, es wälzt sich gleich, um Mücken zu vertreiben.
Foto: Ingeborg Sperl

Apropos Pferde: Sie waren mittlerweile unsere engsten Vertrauten. In der Nacht grasten sie um unsere Zelte, in der Früh begrüßten sie uns mit leichtem Schnauben, sie waren es, auf die wir uns beim Queren von Wildbächen, beim Aufstieg auf steile Hänge, bei Galoppaden über endlose Hochebenen in jeder Sekunde verlassen durften. Für kirgisische Verhältnisse gut genährt und exzellent gehalten, trugen sie uns vier Touristinnen mitsamt unserem Gepäck durch alle Fährnisse mit einer Eleganz, als befänden sie sich auf einem gemütlichen Spazierritt durch den Londoner Hyde Park.

Ausflug mit Lerneffekt

Wobei: Das mit dem Gepäck muss man mögen. Im Tal, in Barskoon, hatte uns Gulmira, das weibliche Familienoberhaupt der Familie Obolbekov, die in Eigeninitiative sehr professionell Reittrails durch Kirgistans anbietet, die Satteltaschen in die Hand gedrückt. Mit klarem Auftrag, in ebenso klarem Englisch: "Eine Tasche pro Person muss reichen – der Rest ist für die Ausrüstung reserviert."

Wir begannen hektisch umzupacken und lernten, dass man sich Hautcreme, Haarshampoo und Zahnpasta auch teilen kann, und dass die Funktionswäsche, gleich nach dem Absteigen am späten Nachmittag gewaschen, erstaunlicherweise bis zum nächsten Morgen trocken wird. Ein wenig prinzessinnenhaft klagten wir zwar über Kreuzweh, verspannte Glieder und unruhige Träume in der Nacht und null Handyempfang – aber wir spürten den Erholungseffekt eines so elementar naturnahen Urlaubs bereits am zweiten Tag unserer Reise: Keine der Mitreisenden verschwendete fortan auch nur einen Gedanken an Büroprobleme.

Herrn Przewalskis Entdeckung

Wir waren schnell hier angekommen. Das arme Land mit dem reichen Naturerbe (1.144 Euro BIP pro Kopf) nahm uns für sich ein. Kirgistan, auch Kirgisistan, Kirgisien oder (amtlich) Kirgisische Republik, einstmals sowjetische Teilrepublik, ist ein Binnenstaat in Zentralasien mit nur 5,7 Millionen Einwohnern. Es grenzt im Norden an Kasachstan, im Südosten an China – mit einem Tagesritt wären wir dort gewesen. In der Hauptstadt Bischkek mit ihren breiten Prachtboulevards und Monumentalbauten aus sowjetischer Zeit kann man aus fast jeder Perspektive die schneebedeckten Gipfel des Hochgebirges Tianshan bewundern.

Ein Jurten-Camp am See Yssykköl
Foto: Wikimedia Commons/Bosinus

Der höchste, Dschengisch Tschokusu, erreicht 7.439 Meter. Nur auf 20 Prozent der 200.000 Quadratkilometer ist es überhaupt möglich, Landwirtschaft zu betreiben – dort wächst und sprießt es allerdings üppig. Kirgistan ist in der Region für schmackhafte Marillen berühmt – und für den wunderbaren See Yssykköl, dessen Wasser leicht nach Soda schmeckt, und der – im Gegensatz zum touristischen Nordufer – an seinen Südstränden noch nahezu unberührt wirkt.

An seinem Ufer in Karakol liegt auch der polnisch-russische Expeditionsreisende Nikolai Michailowitsch Przewalski begraben, der Zentralasien im 19. Jahrhundert erkundete. Nach ihm ist jenes kleine mongolische Wildpferd benannt, das in seiner Urform bis heute überlebt hat. Ein liebevoll gestaltetes Museum in einem hübschen Park, unweit seines Grabes, zeigt recht anschaulich, wie abenteuerlich und strapaziös Przewalskis Entdeckungsreisen gewesen sein müssen.

Kilometerweit von jedem Trend entfernt

Wirtschaftlich spreizt man sich in Kirgistan, so gut es geht, zwischen China, Russland und Kasachstan – als goldener Westen erscheint aus kirgisischer Sicht die Türkei, was auch insofern stimmig ist, als die Kirgisen historisch zur Familie der Turkvölker zählen. Was in Istanbul "in" ist, gilt auch in Bischkek als trendy. Aber von Trends aller Art ist man hoch zu Ross in den hohen Bergen des Landes ohnehin kilometerweit entfernt.

Man hält sich auf dem Shepherd's Way, bestaunt die gewaltige Natur – und kommt doch nicht umhin, die vielen Beschädigungen zu registrieren. Kirgistans Boden ist goldhältig, das hat niederländische und kanadische Minengesellschaften auf den Plan gerufen. Einige Gletscher und Gipfel sind bereits – gegen den Widerstand der Dorfbewohner im Tal – abgetragen worden. Mächtige Schotterstraßen durchpflügen empfindliche Almböden, das reichlich sprudelnde Wasser der Bergbäche kann man nicht ohne weiteres trinken, es ist zum Teil durch die Minen verschmutzt. Die Kirgisen sagen, sie hätten bisher nicht viel vom Reichtum ihres Landes gehabt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Viele Junge gehen als Gastarbeiter nach Moskau oder Astana, kehren aber zurück, sooft es geht. "Sie kommen alle wieder heim", sagt Gulmira, die Veranstalterin unseres Pferdeabenteuers. "Die Berge, die Pferde – wir vermissen das, wenn wir das nicht immer um uns haben."

Nach zehn Tagen in Kirgistans Bergen konnten wir das gut verstehen. Wir gaben "unsere" Pferde nur schweren Herzens ab und kehrten zurück zu Internet, Handy und Büroalltag. Es war gar nicht schlimm. Gut erholt waren wir ja – dank unseres Wellnessurlaubs auf Kirgisisch. (Petra Stuiber, RONDO, 6.11.2015)