"Den Scherben aufhaben" (2010): Mit Humor und einem "Töpfchen" pariert Gabi Mitterer den Frustteil des Mutterseins.

Foto: Gabit Mitterer / Lentos

Sonnengewärmte Haut, Meeresrauschen: Rare Momente des perfekten Mutterglücks in Aufnahmen von Ed Alcock.

Foto: Ed Alcock, Lentos

Linz – Weil einfach Welten dazwischen sind. Zwischen seligen Momenten am Strand, von im milden, wärmenden Licht der Nachmittagssonne geteilten Innigkeiten von Mutter und Kind, wie sie Fotograf Ed Alcock von seiner Familie im Urlaub festhielt, und den Rivalitäten, die sich entspinnen, wenn sich Mutter und Tochter später in Konflikten aufreiben, die Julia Krahn fürs Foto als Ringkampf – in Nylons, Büstenhalter und Schlüpfer – inszenierte.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein dominierte die Kunst auf der einen Seite das Bild der sich selbst aufopfernden, völlig im Leben schenkenden Sein aufgehenden Mutter. So wie es der Bäuerin in Fritz Fröhlichs Gemälde (1910) das Rot auf die Wangen zaubert.

Auf der anderen Seite gab es nur die Kehrseite solchen Glücks in gedeckten, warmen Farben: die den Tod oder die schwere Krankheit des Kindes Betrauernde in schwarzer Kohle. Besonders dramatische Andachtsbilder dieses Leids hat etwa Käthe Kollwitz gemacht. Zwei extreme, aber jahrhundertealte Bildtypen, tausendfach erprobt an der heiligsten aller Mütter, der Jungfrau Maria. Dass man die Metapher der "geistlichen Mütterlichkeit", für die Maria steht, erst in den letzten 150 Jahren jener der "physischen Mütterlichkeit" übergestülpt hat, erläutert Barbara Vinken in ihrem erhellenden Essay zur Ausstellung Rabenmütter im Lentos.

Welche Wohltat, dass dort jetzt das komplette Kaleidoskop hervorgeholt wurde: ein leidenschaftliches Universum der Emotionen – wie es Candice Breitz in ihrer famosen (in der Schau aber leider alles übertönenden und mit ihrer Dramatik dominierenden) Filmcollage Mother (2005) aus Filmszenen etwa mit Meryl Streep, Shirley MacLaine und Diane Keaton zusammenfügte. Man spricht inzwischen nicht nur über Tabuisiertes wie "Regretting Mothers", Nicht-stillen-Wollen, zwanghafte Helikoptermütter, gewollte Kinderlosigkeit – all diese Grautöne und Schattentage im Muttersein dürfen sich heute auch in Bildern manifestieren.

Alltägliches wie die vergossenen Tränen, wenn Mami beim Kämmen wieder furchtbar an den Haaren zieht. Oder auch die Erschöpfung und Ernüchterung, die Einzug hält, wenn frau ihren von der Geburt geschundenen, müden Körper betrachtet. Augenblicke, die Elinor Carucci in tagebuchartigen, nahsichtigen Aufnahmen festgehalten hat. Ja, zum Glück sind die weg, die Weichzeichner über dem Mutterbild.

Glück und Schuld

Aber in der Gesellschaft wirkt sie trotzdem noch fort, die Glorifizierung von Selbstlosigkeit, Fürsorge und Engelsgeduld, die jede Mutter schier in Schuldgefühlen ertrinken lässt, wenn sie im Supermarkt angesichts ununterbrochenen Quengelns die Nerven weggeschmissen hat. "Wir wollten Karriere machen und gleichzeitig zum Inbegriff mütterlicher Selbstlosigkeit werden", schrieb die Autorin und ehemalige Strafverteidigerin Ayelet Waldman über das Bild der Mutterschaft von zwischen 1960 und 1980 geborenen Frauen: Man wolle die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorleben, "sagenhaft gesunde Mahlzeiten" kochen, sich Zeit nehmen. "Unsere Tage, dachten wir, würden 48 Stunden haben, und wir würden eine Kombination aus Mary Poppins und Hillary Clinton sein. Weil das nicht klappt, fühlen wir uns schuldig."

Befreiende Provokation

Und da sind wir schon beim schlimmen Wort der Rabenmutter, mit dem Mütter – sich ständig schuldig fühlend – sich vor allem selbst bezichtigen. Weil sie am gesellschaftlichen Ideal (an dem sie womöglich selbst täglich aufs Neue festhalten) gescheitert sind. Scheitern mussten. Denn die "Supermom" existiert nicht. Und deswegen funktioniert der die Klischeekeule bedienende Ausstellungstitel Rabenmütter auch wie eine befreiende Provokation. Er ruft Widerspruch in jeder Mutter, jeder Tochter (und vielleicht auch in Männern und Söhnen) hervor.

Und für diesen gesunden Reflex verfrachten uns die Kuratorinnen Stella Rollig, Sabine Fellner und Elisabeth Nowak-Thaller auf ein wildes Karussell der Gefühle mit Arbeiten aus mehr als 100 Jahren. Schön, wie die Mutter mit dem Kind auf ihren Schultern zu einem wehrhaften Riesen verschmilzt (Hanna Putz) oder ihren Kopf in den Schoß des Kindes betten darf (Viktoria Sorochinski).

Die inneren Monologe der Mütter, ihre Ohnmacht und Unzufriedenheit verschriftlichte Mary Kelly in Post Partum Document. 1976 sorgte die Arbeit für einen Skandal, waren doch auch schmutzige Windeln Teil ihres über sechs Jahre hinweg verfolgten Projekts.

Ein famoses Auf und Ab also, das Tränen und Lachen bereithält. Hier der Kloß im Hals, wenn die Tochter (Friedl vom Gröller/Kubelka) die sterbende Mutter herzt, dort befreiendes Losprusten, wenn frau den Pisspot wie einen Cowboyhut (Gabi Mitterer) trägt.

Manches Mal liegen diese Kontraste direkt nebeneinander – wie im Leben. Lenka Clayton prüfte an verschiedenen Orten, wie weit sich ihr gerade einmal des Laufens mächtiger Sohn von ihr entfernen kann: Einmal sind es 41,3 Meter, die der Bub, sich immer wieder zur Mama umkehrend, zurücklegt, bis sie zu ihm stürmt. Miriam Elia packt in ihrem Video den Typ "Eislaufmutti" in ein Schmetterlingskostüm. Der verspricht dem verfressenen Raupenkind, es werde so schön werden wie Mommy, wenn der Balg sich nur endlich verpuppen würde! (Anne Katrin Feßler, 4.11.2015)