Wien – Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, was der österreichische Pianist Stefan Vladar vor etlichen Jahren einmal bemerkte. Zwei Gruppen gäbe es, von denen die Leute sagen: "Für sein Alter spielt er ganz gut" – ganz junge Musiker und solche über dem Pensionsalter. Dazwischen liegen lange Jahre, wo sich ein Künstler nach noch so furiosem Karrierestart behaupten muss.

Vladars fünf Jahre jüngerer norwegischer Kollege Leif Ove Andsnes, Jahrgang 1970, könnte es auch bemerkt haben, dass er nicht mehr zu den ganz Blutjungen gezählt wird. Doch anders als so mancher hat er nie mit blankem Virtuosentum gepunktet, sondern von Anfang an Reife und Ernst ausgestrahlt.

Schon mit 20 zeigte er wohlüberlegte Repertoiregestaltung und vor allem tiefe gedankliche Durchdringung seiner Interpretationen. Behutsamkeit stand an erster Stelle, pianistisches Feuer erst an zweiter. Daran hat sich nichts geändert.

Im Wiener Musikverein brachte Leif Ove Andsnes eine höchst persönliche Programmfolge mit einer Gruppe von Stücken von Jean Sibelius, Beethoven, Debussy und Chopin: ebenso wenig alltäglich wie von gleicher kompositorischer Qualität, aber dennoch schlüssig. So spielte Andsnes etwa die drei lyrischen Stücke aus Sibelius' Kyllikki ganz offenbar mit demselben Anspruch wie etwa Beethovens Es-Dur-Sonate op. 31/3. Wobei letztere doch auch wohl noch an sein kürzlich abgeschlossenes Großprojekt mit allen Beethoven-Klavierkonzerten erinnern sollte.

Andsnes ist weder ein Musiker der großen Geste noch der Extreme, es sei denn, diese lägen im bereits angedeuteten Feuer zweiter Ordnung: Bei Beethoven loderte es sozusagen erst durch die Übersichtlichkeit der Form, die Klarheit der Linien und die Ausgewogenheit der Tempi hindurch: Eine Überraschung wie den katastrophischen Einbruch kurz vor Ende des Finales machte Andsnes gerade dadurch deutlich, dass er ihn ungerührt, wie eine objektive Tatsache darlegte. Gerade das legte die Ungeheuerlichkeit dieser Passage frei.

Klassisch ausgewogen

In geradezu klassischer Ausgewogenheit zeigte der Musiker dann die Farbenwelt von Debussys La soirée dans Grenade und dreier Etüden, um sich nach einem Chopin-Block – unter anderem mit der f-Moll-Ballade – erst bei den beiden Zugaben ganz freizuspielen: mit der blitzenden, wiewohl ebenfalls eher nach Understatement als nach Blendwerk klingenden f-Moll-Etüde op. 25/2 und mit der berühmten As-Dur-Polonaise op. 53. Die Freundlichkeit des Beifalls entsprach ganz Andnes' Können – und seiner Zurückhaltung.

(Daniel Ender, 3.11.2015)