Wien – Es ist eine Ironie der Geschichte. Aus Sicht der Linksparteien Europas wurde aller Welt vor wenigen Tagen ein für alle Mal vor Augen geführt, was für ein autoritärer Klub die Eurozone ist. Aber es war kein Finanzpolitiker aus Berlin und kein Zentralbanker aus Frankfurt, der diesen Beweis erbrachte. Es war ein 76 Jahre alter Portugiese. Anibal Cavaco Silva, Portugals Staatschef, hat sich vor knapp zwei Wochen geweigert, ein Linksbündnis mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Das aus drei Parteien bestehende Bündnis, angeführt vom Sozialdemokraten António Costa, verfügt über eine Mehrheit im Lissaboner Parlament. Doch in einer Fernsehrede sagte Präsident Silva, er werde keine Kraft beauftragen, die den Fiskal- und Stabilitätspakt außer Kraft setzen will, der Europas Ländern vorschreibt, nicht zu viel Geld auszugeben. Um einen Konflikt mit Brüssel und den Finanzinvestoren Portugals abzuwenden, sollten die Konservativen eine Minderheitsregierung bilden, sagte der Präsident.

Investorenschreck

Wer der Investorenschreck ist? Na zum Beispiel die 41-jährige Catarina Martins. Die gelernte Schauspielerin ist die Sprecherin des "Linksblocks". Diese außerhalb Portugals noch kaum bekannte Partei konnte ihre Stimmenanteile bei den Wahlen im Oktober auf zehn Prozent verdoppeln und damit mehr zulegen als jede andere Kraft. Im linken Lager ist der Block nun der Königsmacher.

Damit verfestigt sich in Portugal ein Trend; erstmals seit dem Krisenausbruch 2008 konnten in den vergangenen Monaten radikal linke Parteien und Politiker Wahlerfolge feiern. In Griechenland gewann Syriza zweimal die Parlamentswahlen. In Spanien feierte Podemos bei den Regionalwahlen im Mai Erfolge. In Großbritannien hat der Parteilinke Jeremy Corbyn die Wahlen für die Labour-Leadership fulminant gewonnen. Aber was haben die Linken gemein – sind sie Teil eines Phänomens?

Krise im Fokus

Linksblock, Syriza und Podemos verbinden die politischen Erfahrungen im Süden Europas in den vergangenen Jahren. Im Fokus der Wahlkämpfe steht die Krise: Arbeitslosigkeit, Armut, Wohnungsnot. Alle drei Parteien lehnen den Sparkurs in der Eurozone ab und kritisieren das angeblich fehlende Demokratieverständnis der Eliten in Europa, insbesondere in Berlin. Das ist auch das Leitthema des früheren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, der gerade durch Europa tourt, um eine paneuropäische Linkspartei zu schaffen. Heute, Mittwoch, diskutiert er über seine Pläne im Wiener Kreisky-Forum.

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Am Mittwoch diskutiert Yanis Varoufakis im Wiener Kreisky-Forum über die Idee einer pan-europäischen Linkspartei.
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Im Fokus der Kritiker steht auch die Europäische Zentralbank (EZB), weil sie sich politisch in den vergangenen Jahren eingemischt hat, etwa in Griechenland. Die neuen Linken verbindet aber noch ein Aspekt: Podemos und Syriza profitieren von starken Bündnissen mit Organisationen außerhalb der Politiklandschaft, sagt Christos Katsioulis, der die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen leitet.

Wichtige Bündnisse

In Griechenland habe Syriza eine enge Verbindung zu einer Vielzahl von Vereinen und NGOs aufgebaut, das Spektrum reicht von Sozialmärkten bis hin zu Sozialkliniken. "Sie waren überall dort präsent, wo der Staat nachließ", sagt Katsioulis. "Das hat sie glaubhaft gemacht." Die starke Verbindung zur Basis ist auch für Corbyns Triumph symbolisch: Sein Wahlkampf hat zu 15.000 Labour-Neueintritten geführt. Dass die neuen Linken bei der Basis gut ankommen, hat laut Katsioulis auch damit zu tun, dass sie sich als Anti-Establishment-Kräfte präsentieren. Das geht in jenen Ländern leicht, die direkt von der Krise getroffen wurden. Sozialdemokraten und Konservative gelten bei Wählern in Spanien, Griechenland und Portugal als Mitschuld am Wirtschaftsfiasko.

Die Anti-Establishment-Rolle hat auch eine Kehrseite: Was, wenn man in Regierungsverantwortung kommt? In Griechenland hat Syriza das Problem mit einem Trick gelöst, sagt Katsioulis. Die Regierung in Athen setze zwar das Sparprogramm seiner ausländischen Gläubiger um. Doch politisch betont die Partei weiterhin, gegen die Auflagen von außen kämpfen zu wollen. Syriza kann also seine Oppositionsrolle nach wie vor kultivieren. Die wahre Bewährungsprobe steht Syriza aber erst in den kommenden Wochen bevor, wenn entschieden wird, ob der den Wählern versprochene Schuldenschnitt auch kommt.

Gefahr der Implosion

Die Herausforderungen für die neuen Linken sind aber nicht nur in Regierungen groß. Politische Bewegungen, die schnell wachsen, implodieren oft ebenso rasch. Meist ist die organisatorische Überforderung verantwortlich. Dieses Risiko sieht Giorgos Chondros, der dem Zentralkomitee der Syriza angehört, bei der griechischen Linkspartei nicht: Syriza ist aus dem Zusammenschluss mehrerer alter Parteien entstanden. Man verfüge also über erfahrenes Personal und genügend Tradition, um nicht auseinanderzufallen.

Auch der frühere KPÖ-Chef in Österreich, Walter Baier, der ein Buch über die neuen Linksbewegungen verfasst hat (Linker Aufbruch in Europa?), sieht die Parteien gut verankert. Wenn, dann rechnet er nur bei Podemos als "wirklich neuer Bewegung" ohne Erfahrung mit Problemen. (András Szigetvari, 4.11.2015)