Die Mindestsicherung ist für viele Menschen das letzte soziale Netz. Derzeit wird über eine Reform verhandelt.

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Wien – Das ÖVP-regierte Niederösterreich ist für Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) Vorbild für die Reform der Mindestsicherung. Dort gibt es seit September die Möglichkeit, neben der Mindestsicherung mehr als bisher dazuzuverdienen. Dadurch soll der Anreiz, eine Arbeit anzunehmen, verstärkt werden. Hundstorfer dazu am Wochenende in den "Salzburger Nachrichten": "Das wollen wir österreichweit einführen."

Der STANDARD nimmt die Debatte zum Anlass, die bisherigen Zuverdienstmöglichkeiten mit dem niederösterreichischen Modell zu vergleichen. Zunächst: Grundsätzlich beinhaltet schon der Bund-Länder-Vertrag (15a-Vereinbarung) aus dem Jahr 2010 die Möglichkeit, sich die Mindestsicherung aufzubessern. Es gibt einen Wiedereinsteigerfreibetrag, der bei 15 Prozent des Nettoeinkommens liegt (mindestens aber 58 und maximal 140 Euro im Monat) und maximal 18 Monate lange gewährt werden kann.

Freibetrag von maximal 140 Euro

Das heißt: Jeden Euro, den man über diesen Freibetrag hinaus dazuverdient, verliert man bei der Mindestsicherung. Eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums durch die L&R Sozialforschung kam bereits 2012 zu dem Schluss, dass der Freibetrag zu niedrig ist, um tatsächlich einen Anreiz zur Arbeitsaufnahme darzustellen.

Wie oft er in der Praxis tatsächlich zur Anwendung kam, ist nicht bekannt, da es keine zentrale Statistik dazu im Sozialministerium gibt. In Niederösterreich heißt es aber, das alte Modell sei bisher kaum genutzt worden.

Der neue "Wiedereinsteigerbonus" in Niederösterreich geht nun etwas weiter. Er liegt bei einem Drittel des monatlichen Nettoeinkommens, dafür kann er nur zwölf Monate bezogen werden. Maximal dürfen Mindestsicherung und Zuverdienst aber bei 1159 Euro im Monat liegen. Ein paar Beispiele:

  • 600 Euro: Wer 600 Euro dazuverdient, kommt in Niederösterreich inklusive Mindestsicherung auf 1028 Euro. Laut der 15a-Vereinbarung wären es nur 918 Euro (also um 110 Euro weniger).

  • 800 Euro: Wer neben der Mindestsicherung einen Job annimmt, der 800 Euro im Monat bringt, kommt in Niederösterreich auf zirka 1095 Euro, in den anderen Bundesländern wären es nur 948 Euro (also um 147 weniger).

  • 860 Euro: Wer 860 Euro dazuverdient, käme in Niederösterreich auf 1147 Euro – laut der alten Regelung wären es nur 957 Euro. Hier liegt der Unterschied also bei 190 Euro.

Alleinstehende, die mehr als 860 Euro dazuverdienen, haben dann vom zusätzlichen Einkommen nicht wirklich etwas, da die erlaubte Obergrenze von 1159 Euro überschritten würde. Das Modell wäre also wohl primär ein Anreiz, Teilzeitstellen anzunehmen. Erst bei Jobs, die mehr als 1159 Euro bringen, bliebe effektiv auch mehr im Börsel.

Im gemeinsamen Haushalt

Und wie verhält es sich, wenn zwei Partner von der Mindestsicherung leben? Experten hatten wiederholt kritisiert, dass der Anreiz in so einem Fall – vor allem, wenn mehrere Kinder vorhanden sind – nicht allzu groß ist, Jobs anzunehmen. Am Beispiel der niederösterreichischen Regelung:

  • Partner: Gehen beide Partner keiner Arbeit nach, bekommen sie in Summe 1240 Euro pro Monat an Mindestsicherung (also je 620 Euro). Nimmt nun einer der beiden einen Job an, der 900 Euro einbringt, kommt dieser auf 1150 Euro (die Obergrenze). Beim Partner wird der Wiedereinsteigerbonus allerdings angerechnet, sodass das Paar in Summe auf 1490 Euro im Monat käme. Also trotz eines Jobs, der 900 Euro bringt, würde das Haushaltseinkommen nur um 250 Euro steigen.

  • Kinder: An den Zuschlägen für Kinder ändert sich durch den Wiedereinsteigerbonus nichts. Pro Kind gibt es in Niederösterreich 220 Euro zusätzlich zur Mindestsicherung. Wieder am Beispiel eines Paares mit zwei Kindern. Gehen beide keiner Arbeit nach, kommen sie auf 1680 Euro. Nimmt ein Partner die erwähnte Stelle mit 900 Euro an, bleibt unterm Strich ein Haushaltseinkommen von 1930 Euro – es ergibt sich also wieder ein Plus von 250 Euro.

Ob das niederösterreichische Modell wirklich eins zu eins übernommen wird, will man im Büro des Sozialministers noch nicht beurteilen. Die Verhandlungen über eine neue Bund-Länder-Vereinbarung laufen soeben noch. Die ÖVP hat sich zuletzt auch für eine absolute Obergrenze bei der Mindestsicherung von 1500 Euro ausgesprochen. Auch der Ausbau von Sach- statt Geldleistungen wird diskutiert. (Günther Oswald, 3.11.2015)