Die Amphibiengattung Sclerocephalus aus dem Oberkarbon und Unterperm Mitteleuropas besaß vermutlich das hohe Regenerationsvermögen moderner Salamander. Später verloren die Wirbeltiere weitgehend diese nützliche Fähigkeit.

Foto: MfN Berlin, Hwa-Ja Götz

Berlin – Unter den heute lebenden Landwirbeltieren nehmen Salamander eine Sonderstellung ein, denn nur sie besitzen eine spezielle und äußerst nützliche Fähigkeit: Dank ihres hohen Regenerationsvermögens sind sie in der Lage, wiederholt und während ihres ganzen Lebens verlorene Beine, Schwänze und Teile der inneren Organe vollständig zu regenerieren. Die Mechanismen, die diesem beachtlichen Regenerationsvermögen zugrunde liegen, sind Gegenstand eines großen Forschungsfeldes, angetrieben durch die Hoffnung, die Erkenntnisse zukünftig auch in der Humanmedizin anwenden zu können. Nun haben deutsche und US-amerikanische Forscher anhand von fossilen Amphibien festgestellt, dass diese Regenerationsfähigkeit vermutlich ursprünglich allen Landwirbeltieren zueigen waren und erst im Laufe der Evolutionsgeschichte verloren ging.

Salamander unterscheiden sich allerdings nicht nur in dem Regenerationsvermögen ihrer Beine von anderen Landwirbeltieren, sondern auch darin, wie sich ihre Beine initial während der Embryonalentwicklung bilden. Eigentlich folgt die Entwicklung der Beine aller vierfüßigen Wirbeltiere – vom Frosch bis hin zum Menschen – einem sehr konservativen Muster und das trotz der Fülle von Formen und Funktionen die Beine in Wirbeltieren erfüllen.

Rätselhaftes Phänomen

"Salamander hingegen bilden ihre Finger in der umgekehrten Reihenfolge wie alle anderen vierfüßigen Wirbeltiere, ein Phänomen was Biologen schon seit über hundert Jahren Rätsel aufgibt", sagt Nadia Fröbisch, Erstautorin der Studie, vom Museum für Naturkunde Berlin. "Die Frage die sich uns stellte war, ob und wie dieser andersartige Weg der Beinentwicklung und das hohe Regenerationsvermögen evolutiv miteinander zusammenhängen".

Auch das Regenerationsvermögen der Schwänze in Salamandern ist bemerkenswert. "Anders als bei Eidechsen, die ihren Schwanz oft nur ein oder zweimal regenerieren können und ihre Wirbelsäule im Regenerat lediglich durch einen knorpeligen Stab ersetzen, regenerieren Salamander die Wirbelkörper, das Rückenmark und die Muskulatur des Schwanzes" sagt Constanze Bickelmann, Co-Autorin der Studie.

Vor 300 Millionen Jahren weit verbreitet

Klassischerweise wurde angenommen, dass das hohe Regenerationsvermögen von Salamandern etwas Besonderes und Salamander-typisches ist. Nun aber werfen neue Daten aus dem Fossilbericht ein neues Licht auf die Evolution dieser außergewöhnlichen Fähigkeit. In ihrer Studie zeigen die Forscher anhand von Fossilmaterial verschiedener Amphibiengruppen aus den Erdzeitaltern des oberen Karbon und unteren Perm (ca. 300 Millionen Jahre), dass verschiedene Gruppen vierfüßiger Wirbeltiere in der Lage waren, ihre Beine und Schwänze auf eine Art zu regenerieren, wie sie unter heutigen Wirbeltieren nur von Salamandern bekannt ist.

"Dabei konnten wir salamanderartiges Regenerationsvermögen sowohl bei fossilen Gruppen nachweisen, die ihre Beine wie die Mehrheit der heute lebenden vierfüßigen Wirbeltiere entwickeln, als auch bei solchen, die ein umgekehrtes Muster der Beinentwicklung wie bei heutigen Salamandern aufweisen." sagt Jennifer Olori von der State University of New York at Oswego, ebenfalls Co-Autorin der Studie.

Die Fossilien, die der Studie zugrunde liegen, stammen aus Sammlungen verschiedener Naturkundemuseen, darunter auch das Museum für Naturkunde Berlin. Die Amphibien fossilisierten unter herausragenden Erhaltungsbedingungen und sind durch eine große Anzahl von Individuen aus verschiedenen Entwicklungsstadien belegt. Dieser außerordentliche Fossilbericht hat erst die detaillierten Studien der Beinentwicklung und Regeneration möglich gemacht, erklären die Wissenschafter.

Verlorene Fähigkeit

"Es zeigte sich, dass die Form der Beinentwicklung moderner Salamander und das hohe Regenerationsvermögen nicht etwa etwas ganz Besonderes für Salamander ist, sondern vielmehr vermutlich der Urzustand für alle Landwirbeltiere darstellt", meint Fröbisch. "Die hohe Regenerationsfähigkeit ging dann im Laufe der Evolution der verschiedenen vierfüßigen Landwirbeltiere mindestens einmal, möglicherweise aber auch mehrfach unabhängig voneinander verloren, darunter auch in der Linie zu den Säugetieren."

Die neuen Erkenntnisse sind nicht nur überraschend, sondern auch relevant für biomedizinische Studien, in denen es darum geht die molekularen Mechanismen zu entschlüsseln, die die Regeneration in Salamandern koordinieren und könnten eine Hinweis dafür liefern, dass nicht allein Salamander-spezifische Faktoren in der Regeneration eine Rolle spielen, sondern möglicherweise Mechanismen, die alle Landwirbeltiere aufgrund ihrer gemeinsamen Evolutionsgeschichte in sich tragen. (red, 1.11.2015)