Bild nicht mehr verfügbar.

UÇK-Anhänger im Kosovo.

Foto: EPA/VALDRIN XHEMAJ

Bild nicht mehr verfügbar.

Die traditionelle Tracht im Westen des Kosovo.

Foto: AP

Peja liegt unter den Bergen, auf denen jetzt im Oktober schon zwischen orangebraunen Bäumen der Schnee liegt. In der kosovarischen Stadt sitzen die Leute aber noch gerne draußen im Café. In Peja ist es in den letzten Jahren ruhiger geworden, die Stadt in der Region Dukagjini galt noch bis vor kurzem als Hochburg der Kriminalität. Seit zwei Jahren ist Bürgermeister Gazmend Muhaxheri, der der Regierungspartei LDK angehört, hier im Amt. Die ehemaligen Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK, die sich später in der Partei AAK wiederfanden, haben in Dukagjini einiges an Einfluss eingebüßt.

Die AAK boykottiert seit Wochen die Parlamentsarbeit mit Tränengas, weil sie gegen zwei Abkommen der Regierung ist. Bürgermeister Muhaxheri sieht darin vor allem ein Zeichen für ihren Machtverfall. Denn wer nicht in der Regierung sitze, komme weniger leicht an öffentliche Gelder heran. AAK-Chef Ramush Haradinaj und seine Leute würden noch immer Geld mit "Benzin und Glücksspiel" machen. Aber "heute brauchen die USA ihn nicht mehr, weil es eine große Koalition gibt". Muhaxheri denkt aber, dass die alten Strukturen noch immer gefährlich sein können, vor allem, weil sie jetzt Macht und Geld verlieren.

Abrechnungen nach dem Krieg

Haradinaj war eine der führenden Figuren der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK in der Region Dukagjini im Westkosovo. Die USA setzten im Krieg im Jahr 1999 auf ihn, weil er als einer der Warlords galt, die in der Lage waren, für Stabilität zu sorgen. Zwei seiner Brüder, Luan Haradinaj und Shkellzen Haradinaj, wurden von serbischen Einheiten getötet. Nach dem Krieg kam es zu "Abrechnungen" zwischen der UÇK und der Fark, einer anderen bewaffneten Gruppe, die der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) nahestand. "Es gab fünf bis sechs Exekutivkomitees, die beauftragt waren zu säubern", sagt Bürgermeister Muhaxheri. Im Rahmen dieser "Abrechnungen" gab es eine Fehde zwischen der Familie Haradinaj (UÇK) und der Familie Musaj (Fark). Bei einer Schießerei im Rahmen dieser Fehde im Jahr 2000 wurde Ramush Haradinaj verletzt und ins US-Camp Bondsteel ausgeflogen.

Haradinaj gegen Musaj

In diesen Jahren nach dem Krieg wurden zahlreiche Fark-Leute ermordet. Darunter auch Sinan Musaj, ein Mitglied des Musaj-Clans. Ramush Haradinajs Bruder Daut wurde 2002 wegen dieses Mordes und drei weiterer verurteilt. Doch nicht nur Mitglieder der Fark fanden den Tod, sondern auch solche, die bereit waren, als Zeugen in solchen Mordfällen auszusagen. Tahir Zemaj sollte der Hauptzeuge gegen Daut Haradinaj sein. Er und sein Sohn Enis und sein Neffe Hysen wurden im Jänner 2003 auf offener Straße ermordet. Dann kamen jene dran, die versuchten, das zu untersuchen. Im November 2003 wurden die Polizisten Sebahate Tolaj und Isuf Haklaj auf dem Weg zur Arbeit getötet. Sie waren Teil der Untersuchungseinheit zur Aufklärung schwerer Verbrechen.

"Das Problem war damals, dass die UN-Verwaltung Unmik korrupt war. Sie hat sich nicht für die Sicherheit der hiesigen Polizei interessiert, nur für die eigenen Leute", sagt Muhaxheri dem STANDARD. Die Morde und Abrechnungen seien dann 2003 beziehungsweise 2004 gestoppt worden, weil die AAK, deren Chef Haradinaj ist, Teil der Regierung wurde und Ramush Haradinaj selbst Premier. Bloß im Jahr 2005 wurde noch ein weiterer Bruder von Ramush, Enver Haradinaj, im Auto erschossen. Ebenfalls 2005 musste Haradinaj selbst ins Gefängnis nach Den Haag, wo ihm vor dem Jugoslawien-Tribunal wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht wurde.

Aus Dörfern vertrieben

Haradinaj wurde vorgeworfen, im Krieg Teil einer verbrecherischen Unternehmung gewesen zu sein, die zum Ziel hatte, "totale Kontrolle" über die Dukagjini-Region zu bekommen, indem Serben, aber auch Roma, Ägypter und Albaner und andere Zivilisten, die unter "Verdacht" standen, mit Serbien zu kollaborieren, weggebracht oder misshandelt wurden. Insbesondere Serben wurden ab 1998 von der UÇK aus ihren Dörfern vertrieben.

Das Gericht hielt fest, wie schwierig es gewesen sei, Zeugen zum Sprechen zu bringen. Man habe den "starken Eindruck" erhalten, dass die Zeugen sich unsicher fühlten. Sieben Morde wurden in dem Verfahren der UÇK nachgewiesen. Doch man konnte Haradinaj nicht nachweisen, dass es eine gemeinsame vorsätzliche Bildung einer verbrecherischen Unternehmung gegeben hatte, und er wurde 2008 freigesprochen. Zumindest ein Zeuge starb unter mysteriösen Umständen. Das Verfahren wurde nochmals aufgerollt, aber Haradinaj 2012 erneut aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Schießereien in Kumanovo

Jüngst tauchte der Name Haradinaj wieder auf, als es im Mai zu Feuergefechten zwischen albanischen Kämpfern und der Polizei in der mazedonischen Stadt Kumanovo kam. Zwei der Kämpfer, die bei der Schießerei starben, hatten für die Haradinajs gearbeitet: Mirsad Ndrecaj und Beg Rizaj. Von beiden gibt es Fotos gemeinsam mit Haradinaj. Rizaj war sein Bodyguard.

Muhaxheri glaubt, dass es noch etwa 20 Jahre dauern wird, bis die alten UÇK-Kader aus der Politik verschwunden sind. "Die sind ja im Staat installiert", sagt er zum STANDARD. Zu den alten Kadern gehören auch noch Mitglieder der Regierungspartei PDK von Hashim Thaçi. Fatmir Limaj, der lange Zeit so etwas wie die rechte Hand von PDK-Chef Thaçi war, hat zwar mittlerweile seine eigene Partei, die ebenfalls das Parlament boykottiert, weiß aber sehr viel über die PDK.

Thaçi selbst hat in den vergangenen Jahren zwar versucht, in der Partei die ehemaligen Mitglieder der Shik, des Geheimdiensts währendes Krieges, an den Rand zu drängen. Aber der Machtkampf in der PDK zwischen den alten UÇK-Kadern und jungen, progressiven Kräften geht weiter. "Ich habe Angst, dass einige von den alten Kadern in der PDK die andere Seite nun zu Fall bringen", sagt Muhaxheri. So gesehen sind der gesamte Parlamentsboykott und die Krise im Kosovo auch als Machtkampf innerhalb der Regierungspartei zu verstehen. (Adelheid Wölfl, 2.11.2015)