Wolfgang Herles
"Die Gefallsüchtigen"
Euro 20,60
250 Seiten
Knaus-Verlag
München 2015

Der TV-Journalist Wolfgang Herles geht in Pension. Zum Abschied vom ZDF hat er dem Sender ein stacheliges Stück Medienkritik überreicht: Die Gefallsüchtigen. Herles lässt nichts aus, was ihm am öffentlich-rechtlichen Sender der "Quotenjunkies" aufgestoßen ist: die Hofberichterstatter (Berichte über CDU-Parteitage als "C-Dur Feldgottesdienste zu Ehren der heiligen Angela" gestalten), Talkshow-Clowns ("Patentschwätzer, bei denen der Anzug oft besser sitzt als die Gedanken"), Skandal- und Alarmschreier ("in der Katastrophe ist das Medium ganz bei sich"). Die Politik läuft nach Angela Merkels einzigem Kompass – den Umfragewerten. 2009 bis 2013 hat allein das Bundespresseamt 600 Umfragen in Auftrag gegeben.

Herles beginnt mit dem Quotenfetischismus. Die Quote ist der Gessler-Hut, vor dem sich alle verneigen – so als ob Zahlen für Qualität bürgten. "Kampflos ergibt sich das ZDF der Diktatur der Quote." Die Quote misst nur das Gefallen, und wer in den Medien an Quoten glaubt, gehört für Herles ebenso zu den Gefallsüchtigen wie jene Programmdirektoren, Rundfunkräte, Politiker etc., die sich an Umfragen ausrichten. Medien und Politikern – den "gefallsüchtigen" Zwillingen – liegt nichts ferner als Kritik, Provokation und Aufklärung. Medien und Politiker folgen der "Macht des Marktes", die Konsumtrends, Lebensstile, Einstellungen und Wertorientierungen erzeugt. Ergebnis: Homogenisierung, Konformismus und Seichtigkeit rundum. Das Programm verkommt bei fast allen Sendern zum platten Unterhaltungsprogramm.

Niveausenkung

Die Qualitätskrise hat nicht nur das Gebührenfernsehen erfasst, das – so Herles – "ohne großen Verlust für die Gesellschaft abgeschafft werden könnte", sondern auch Privatsender und Printmedien. Die Privatsender wirkten in vieler Hinsicht als Trendsettter im Wettstreit um die qualitative Niveausenkung, in dem sich die öffentlich-rechtlichen Sender nicht abhängen lassen wollten und nach Kräften mithielten. In den Printmedien endete der Kampf um die Mitte beim "Abschreiben und Fremddenkenlassen" (Ulrich Jörges) in einem allgemeinen Konformitätsdruck. Im Online-Journalismus kommt der Zeitdruck hinzu, der die Qualität zusätzlich senkt. Verheerend wirken sich auch kostensparende Kooperationsdeals zwischen vormals linksliberalen und konservativen Zeitungen aus. Das Netz und die sozialen Netzwerke entwickeln sich zu "einer Gerüchteschleuder" (Mathias Müller von Blumencron, FAZ).

Herles' Diagnose ist richtig, seine Therapie – radikale Programmreform (weniger Geld für teure Sportrechte und vulgäre Unterhaltung, mehr für Bildung, Kultur und Politik), Abschaffung des Gebührenfernsehens und Finanzierung aus Steuermitteln – plausibel. Es ist nicht einzusehen, warum das öffentlich-rechtliche Fernsehen Sportveranstaltungen mit hochbezahlten Profis beim Kauf von überrissen teuren Übertragungsrechten oder idiotische Unterhaltungssendungen wie den European Song Contest indirekt subventionieren soll. Ein Buch als Abschiedsgeschenk an die große Quoten-Sekte. Besser wäre es gewesen, wenn Herles seine Kritik und seine Vorschläge vorgetragen hätte, als er noch redaktionelle Verantwortung trug. Insofern kommt das Buch leider zu spät, um jene Wirkung zu entfalten, die man ihm wünscht. (Rudolf Walther, Album, 30.10.2015)