Nacktbaden im Meer bedeutet möglicherweise Punkteabzug: In "Chevalier" von Athina Rachel Tsangari liefern sich Männer einen spielerischen Wettkampf.


Foto: Viennale

Eine der radikaleren politischen Ideen wird selten lanciert, weil sie nicht ganz demokratisch wäre. Aber man stelle sich vor, man würde die Männer einfach einmal für eine Weile aus den Machtbereichen entfernen. Da ist man natürlich gleich mitten in den Geschlechterstereotypen, die bei den Männern übrigens ganz schön häufig durch Machtkontakt verstärkt werden.

Zweifellos krankt diese Idee an diversen Definitionsproblemen, und bei gesellschaftlichen Großexperimenten gibt es allen Grund zur Vorsicht. Vorläufig könnte es vielleicht reichen, sich Chevalier von Athina Rachel Tsangari anzusehen. Eine Komödie über Männer, die auf einem Boot Urlaub machen, unter sich sind und auf kein besseres Spiel kommen, als die Länge ihre Schwänze zu messen. Das ist ein bildhaftes Detail, sie messen auch noch alles mögliche andere, sie zelebrieren ihre Freundschaft als große Konkurrenzveranstaltung. Bei all dem zählt dramaturgisch die Tatsache, dass die Männer mit sich und ein paar Dienstboten allein sind.

Man kann Chevalier damit in zwei Richtungen lesen: als eine Verdichtung männlicher Rituale, die durch die beengte Situation auf einer Yacht entsteht, oder als eine Probe für die Blödheiten, die sie anrichten werden, wenn sie wieder an Land gegangen und im richtigen Leben sind. Dieses Land ist Griechenland, eine Wiege der Kultur und der Demokratie – und dieser Typen.

Athina Rachel Tsangari studiert diese Männer wie eine Verhaltensforscherin. In Attenberg (2010) baute sie eine Hommage an den Tierfilmer Sir Richard Attenborough ein, nun macht sie einen weiteren Schritt in die Richtung einer Komik, die Ethologie als Parawissenschaft für einen recht merkwürdigen Tonfall produktiv macht. Denn Chevalier gibt bereits mit seinem Titel zu erkennen, dass es hier darum geht, eine ernste Situation auf ein Spiel zu setzen. Die Situation, das sind die ausgesparten Verhältnisse in der Wirklichkeit, das Spiel sind die teils absurden Formen, in denen die Männer, alle im sogenannten besten Alter, miteinander konkurrieren.

Vor die Hunde gehen

Das griechische Kino hat sich in den Jahren der Krise als produktiv erwiesen – ausgerechnet in der Zeit der Austerität traten Talente hervor, die auf originäre Weise einen naheliegenden Krisenrealismus zurückwiesen und nicht zuletzt durch intellektuellen Reichtum und verquere Allegorien verblüfften. Yorgos Lanthimos und Tsangari sind die zentralen Figuren in einem interessanten Feld, das die Viennale mit einem Rückblick besser zu erschließen versucht.

"Noch einmal mit Gefühl" steht über der Auswahl von Filmen aus den vergangenen zehn Jahren, ein gelinde gesagt seltsamer Titel für eine heterogene Zusammenstellung, in der vielleicht eher die Kategorie der Empathie von Interesse ist. Der Kurator Vassily Bourikas zeichnet für die Auswahl verantwortlich, und so kann man zum Beispiel To the Wolf (Sto lyko) sehen, eine Anti-Hirtenidylle von Christina Koutsospyrou und Aran Hughes in einem Mittelgebirge im westlichen Griechenland. Die Hügelkuppen tragen allesamt die riesigen Masten einer großen Stromleitung, zu Füßen der Stahlgiganten sammelt Giorgios immer wieder seine Herde. Wenn die englischen Untertitel von To the Wolf nicht fehlgehen, dann bedeutet dieses "to the wolf" so viel wie: "Verdamm mich!" Ein Kraftausdruck, mit dem die Verzweiflung in Schach gehalten werden soll.

Die Lebensgrundlagen brechen weg, niemand will mehr die Ziegen kaufen, und Giorgios sitzt abends allein im Gasthaus und schimpft auf die Politiker, die den Staat so vor die Hunde gehen ließen, wie man den Hunden in To the Wolf gelegentlich ein Stück Eingeweide hinwirft.

Koutsospyrou und Hughes haben mit Darstellern gedreht, die im Wesentlichen sich selber spielen, und so bekommt ihr Film eine starke Spannung, denn er ist zugleich dokumentarisch-realistisch und rhetorisch-allegorisch. Wenn der Wind an den Bäumen zerrt, dann wird in der filmischen Erzählung daraus ein Zeichen für eine Dynamik der Veränderung, der die Leute unterliegen, ohne ihr viel entgegenhalten zu können.

Tiefenschichten

Das neuere griechische Kino, das darin aber durchaus an Nationalheilige wie Theo Angelopoulos anschließt, zeichnet sich durch einen Realismus aus, der nicht unmittelbar oder irgendwie "neo" ist, sondern stark konzeptuell interessiert. Entfremdung und Verfremdung liegen nahe beisammen. Bourakis überprüft diese ästhetischen Positionen an (quasi)dokumentarischen Filmen wie Boy Eating the Bird's Food, und öffnet zwischendurch mit dem Historienfilm Black Field eine Tiefenschicht, die in To the Wolf auf die "lange Dauer" des Gerade-einmal-so-Auskommens gesetzt wird. Unterhalb der Haupt- und Staatsaktionen ist das Leben nackt, das griechische Kino aber kennt viele Formen, es zu verkleiden. (Bert Rebhandl, 30.10.2015)