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Lena Dunham und Jenny Konner schufen gemeinsam "Lenny", einen Newsletter, "where there is no such thing as too much information", bei dem es also kein Zuviel an Information gibt.

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Elisabeth Klaus leitet die Abteilung Kommunikationstheorien und Öffentlichkeiten an der Uni Salzburg. Sie sagt: "Für 'Lenny' gilt, was bereits an der Dunham-Serie 'Girls' kritisiert wurde: Darin dominieren Alltagsprobleme von Frauen der Mittel- und Oberschicht."

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Konner und Dunham sind nicht nur Freundinnen, sondern auch Geschäftspartnerinnen: Gemeinsam arbeiten sie an der HBO-Serie "Girls".

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In "Lenny" geht es um Politik, Gesundheit, Freundschaft, Bildung – und um Schuhe.

Lenny

Dunham und Konner promoten Hillary Clinton.

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Kürzlich hat Lena Dunham, Autorin von "Not that Kind of Girl" und Macherin der HBO-Serie "Girls", gemeinsam mit "Girls"-Produzentin Jenny Korner einen feministischen Newsletter gestartet. Warum es sichere Orte für Feministinnen im Netz braucht und ein "weißer Bobo-Newsletter" ebenso seine Berechtigung hat, erklärt Elisabeth Klaus, Wissenschafterin an der Uni Salzburg.

STANDARD: Der Newsletter "Lenny" will Fragen stellen und Diskussionen aufwerfen, die in der Mainstream-Öffentlichkeit so nicht vorkommen. Im wissenschaftlichen Fachjargon firmiert diese Art von Medium unter "Gegenöffentlichkeit". Haben diese Gegenöffentlichkeiten denn Gewicht für die öffentliche Meinung, oder sind es nur mediale Paralleluniversen?

Klaus: Die Geschichte zeigt, dass politische Bewegungen – und die konstituieren sich aus solchen Gegenöffentlichkeiten – großen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben können. Die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung, die Studierendenbewegung, um nur einige Beispiele zu nennen, haben sehr viel erreicht. Sie konnten zumindest einen Teil ihrer Ziele verankern. Heute ist es etwa keine Frage mehr, ob Frauen arbeiten oder studieren dürfen. Aber natürlich sind Gegenöffentlichkeiten unterschiedlich erfolgreich.

STANDARD: Was sind Kriterien für ihren Erfolg?

Klaus: Voraussetzung ist einerseits eine bestimmte gesellschaftliche Krisensituation – zum Beispiel war die Studierendenbewegung deshalb so erfolgreich, weil auch die Bevölkerung gesehen hat: Es herrscht Stillstand, die Gesellschaft bewegt sich nicht mehr. In solchen Situationen können Gegenöffentlichkeiten etwas bewirken und die Gesellschaft bereichern. Andererseits brauchen diese ein politisches Programm, tragfähige Strukturen, gut vernetzte ProtagonistInnen und eigene kulturelle Ausdrucksformen – einen gewissen Lebensstil, eigene Orte, gemeinsame Treffpunkte, eigene Slogans ...

STANDARD: Wie haben sich diese Gegenöffentlichkeiten mit den neuen Medien verändert?

Klaus: Mit dem Internet sind neue Möglichkeiten für ihre Konstituierung entstanden. Die Sexismusdebatte, die von #aufschrei angestoßen wurde, wäre ohne das Internet so nicht denkbar gewesen. Diese neuen Möglichkeiten werden allerdings auch intensiv von antidemokratischen Gruppen genutzt. Im Internet sind zahlreiche aggressive antifeministische, rassistische und menschenfeindliche Positionen zu finden.

STANDARD: Die ursprüngliche Hoffnung, das Internet würde feministische Positionen stärken, hat sich also nicht erfüllt?

Klaus: Jedenfalls nur bedingt, denn Hate Speech, wüste Beschimpfungen und Drohungen kennen heute nahezu alle Feministinnen, die im Netz aktiv sind. Oft handelt es sich nur um eine kleine Gruppe von Tätern, die jedoch, wenn sie sich absprechen und vernetzen, großen Einfluss auf Diskussionen nehmen können.

STANDARD: Wilde Beschimpfungen in sozialen Medien waren auch für Lena Dunham der Grund, diesen Weg der One-Way-Communication zu gehen. Erscheint ein E-Mail-Newsletter heute nicht schon als old fashioned? Sie selbst bezeichnete ihn einmal als "safe place" für Feministinnen.

Klaus: Dass so ein "safe place" für Feministinnen wichtig ist, beruht auf Erfahrungen, die Lena Dunham gemacht hat. Ein sicherer Ort stellt eine Basis für alle Gegenöffentlichkeiten dar, damit ohne Anfeindungen grundlegende Fragen diskutiert werden können: Was wollen wir eigentlich? Wovon träumen wir? Hate Speech drängt Menschen in eine Abwehrposition, die Selbstverständigungsprozesse unterbindet. Das verhindert neue Impulse. So ein sicherer Ort muss keineswegs kuschelig sein, Selbstverständigung heißt immer auch, Auseinandersetzungen zu führen, um richtige Positionen zu ringen. Genau das ist aber nur möglich, wenn die AkteurInnen vor Anfeindungen geschützt sind, die mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung nichts zu tun haben. Das Internet bietet dann Gruppen, die um Anerkennung und Selbstbestimmung ringen – Feministinnen, Homosexuelle, Transsexuelle et cetera –, neue Möglichkeiten, sich zu treffen und auszutauschen, die es vorher nicht gab.

STANDARD: Braucht es dann überhaupt noch reale Formen des Austauschs?

Klaus: Ich glaube, dass die Frage schon eine zu strikte Trennung zwischen online sein und realem Leben impliziert. Oft werden die Verschränkungen und Vermischungen zwischen beiden Erfahrungsbereichen und Kommunikationsweisen ignoriert. Das sieht man auch an den Themen, die "Lenny" behandelt. Wenn der Newsletter etwa für das Recht auf Abtreibung eintritt, dann ist das nicht vorrangig eine virtuelle Frage, sondern ein für viele Frauen existenzielles Problem. Oder ein banaleres Beispiel: Wenn darin junge Frauen diskutieren, wie sie am besten ihre Haare knallbunt färben, dann tun sie das ja, um sich im Alltag neu zu präsentieren, um von den Menschen, die sie umgeben, anders gesehen zu werden.

Diese enge Verbindung zwischen Onlinemedium und Realwelt hat auch die Entstehung von "Lenny" begleitet. Dunham beschreibt als einen Anstoß zur Herausgabe des Newsletters, dass sie bei ihren Lesereisen erfahren hat, wie stark das Bedürfnis der Anwesenden war, über die unterschiedlichsten feministischen Anliegen zu diskutieren. Der Newsletter ist Ausdruck dieses Bedürfnisses und hat als Diskussionsforum eine wichtige Funktion – will man aber grundlegende gesellschaftliche Veränderungen erreichen, reicht das wohl nicht aus.

STANDARD: Stichwort Erreichen: Mit "Lenny" wollen Dunham und Jenni Konner ihre politische Sicht der Dinge an die Frau bringen. Sie sprechen sich für Planned Parenthood oder die Ehe für alle aus, gleichzeitig liest sich der Newsletter stellenweise wie ein Lifestyleblog: Gesundheit, Freundschaft, Kochrezepte. Auch Modethemen, wie Sie sie angesprochen haben, kommen vor. Am Ende des Clinton-Interviews, im allerersten Newsletter, befragt Dunham die Politikerin gar zu ihrem Lieblingskleid. Gehen politischer Inhalt und Lifesyle zusammen?

Klaus: Ein Problem des Newsletters ist, dass viele gesellschaftlich brisante Themen darin nicht angesprochen werden – zum Beispiel, dass wir in Migrationsgesellschaften leben, dass die Kluft zwischen Reich und Arm immer größer wird. Auch über die zunehmende Überwachung und Kontrolle oder die Prekarisierung von Carearbeit habe ich keine Beiträge gefunden. Ich würde mir mehr solcher Themen wünschen. Für die Anerkennung der Rechte der sogenannten LGBTIs zu plädieren ist eine Sache, soziale Ungerechtigkeit zu thematisieren eine andere. Die Politikwissenschafterin Nancy Fraser hat argumentiert: Wir brauchen nicht nur eine Anerkennungspolitik, sondern auch eine Umverteilungspolitik. Beides gehört untrennbar zusammen, wenn nachhaltige Veränderungen bewirkt werden sollen. Der Newsletter ähnelt in mancher Hinsicht dem "Missy Magazine". Beiden Publikationen ist die starke Verbindung zur Popkultur gemeinsam, wohl eine der Ausdrucksformen junger Feministinnen.

STANDARD: Aber gibt es Popfeminismus nicht schon seit den 1990er-Jahren?

Klaus: Ganz neu ist der Begriff des Popfeminismus tatsächlich nicht. Dieser feministischen Strömung geht es oft darum, jedenfalls wird ihr unterstellt, sich vom Feminismus der Müttergeneration, von der Bewegung der 1970er-Jahre abzugrenzen. Das ist verständlich, muss doch jede Generation wieder ihre eigene Position zu Fragen der Gleichberechtigung oder auch des Verhältnisses von Familie und Beruf finden.

STANDARD: Bei "Lenny" werden aber ältere Feministinnen regelrecht hofiert.

Klaus: Ja, Dunham und Konner holen die "alten" Feministinnen mit ins Boot – zum Beispiel findet sich darin ein Interview mit der Journalistin, Feministin und Aktivistin Gloria Steinem, die als eine der Begründerinnen der US-amerikanischen feministischen Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre gilt. Diese durchgehende, meist biografische Bezugnahme auf die feministischen Vorgängerinnen gefällt mir, denn andere Strömungen im Popfeminismus zeichnen sich viel mehr durch Abgrenzung davon aus. Für "Lenny" gilt allerdings auch, was bereits an der Dunham-Serie "Girls" kritisiert wurde: Darin dominieren Alltagsprobleme von Frauen der Mittel- und Oberschicht.

STANDARD: Ein Bobo-Newsletter mit "weißen" Themen also? Dunham wurde dafür schon von schwarzen Blogerinnen kritisiert.

Klaus: Überspitzt kann man das so sagen, ja. Aber als Gesamturteil ist es zu abwertend. In "Lenny" setzen sich meist weiße, meist junge Frauen mit ihren Fragen und Problemen auseinander, mit den Erfahrungen, die sie alltäglich machen. Wenn Lena Dunham ihren Twitter-Account schließt, weil dort fast ausschließlich diskutiert wird, ob sie zu dick ist oder nicht, dann weist das auch auf ein zentrales gesellschaftliches Problem hin: Können sich junge Frauen jenseits einer Fixierung auf ihren Körper und ihr Aussehen frei entfalten, ein selbstbestimmtes Leben führen? Es ist nicht nur legitim, sondern wichtig und relevant, solche individuell erlebten Erfahrungen öffentlich zu thematisieren und damit als gesellschaftliches Problem zum Ausdruck zu bringen und begreifbar zu machen.

Es gibt und gab immer schon eine Vielfalt an unterschiedlichen feministischen Positionen und Bewegungen. Diese Vielfalt anzuerkennen und tolerant und solidarisch damit umgehen zu lernen – was ja keineswegs heißen muss, Kritik auszusparen – ist eine grundlegende Stärke feministischer Bewegungen auch in der Vergangenheit gewesen. Eine solche Position der Toleranz vertritt auch Lena Dunham. (Lisa Breit, 16.11.2015)