Hessi ist in der Polgarstraße am Ball. Der großgewachsene Sänger ("Rap, Hip-Hop") aus Kabul will "sehr bald sehr gut Deutsch sprechen", zur Schule gehen, weiterkicken.

Foto: Roland Gradl

"Es gibt Konflikte. Aber über allem steht die Regel, dass wir uns mit Fairness und Respekt begegnen", sagt Fußball-Funktionär Johannes Dobretsberger.

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Benny aus Qamishli in Syrien landete vor eineinhalb Jahren in Wien. Sein Onkel, der seit vierzig Jahren da ist, brachte Benny zu BWH Lok Hörndlwald nach Hetzendorf.

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Das Flüchtlingsteam der Polgarstraße.

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Wien – Da sind ein paar ordentliche Fahrer auf dem Parkettboden, die können nur von schwarzen Schuhsohlen stammen, dabei ist hier das Fußballspielen mit Schuhen, die eine schwarze Sohle haben, ausdrücklich verboten, das kann doch bitte nicht sein. Der Schulwart der Business Academy Donaustadt, kurz HAK Polgarstraße, ist nicht der erste und wird nicht der letzte Schulwart sein, der sich ein bisserl aufpudeln muss. Jedenfalls ziehen jetzt besser alle die Schuhe aus, heute spielen wir bloßfüßig. Nächstes Mal schauen wir weiter.

In der Polgarstraße in Wien-Stadlau wird seit drei Wochen gemeinsam mit Flüchtlingen gekickt, jeden Donnerstag, jeden Freitag, jeweils von 19 bis 21 Uhr. "Playtogethernow – Fußball mit Flüchtlingen", so nennt sich das. Seit Jahren gab es in der HAK-Sporthalle einen fixen Termin, eine zwanglose Runde, in der Väter mit ihren Söhnen spielten. Dann hatten Joe und Roland die Idee, man könnte sich doch einbringen und etwas Sinnvolles für Flüchtlinge tun. Andere waren flott dabei, man nahm Kontakt zu connect.erdberg auf, wo die Stadt Wien mehr als 250 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht hat. Ohne große Planung ging es los.

An einem Freitagnachmittag fuhren drei Helfer gemeinsam mit zwanzig Flüchtlingen von Erdberg nach Stadlau, U3 und U1 und 26A. Unterhalten hat man sich vor allem mit Händen und Füßen, nur beim Kicken selbst gab es so gut wie keine Verständigungsprobleme. "Dass einer schon Deutsch spricht, ist die Ausnahme", sagt Joe. "Einige können Englisch. Aber alle sind Fußball-sozialisiert." Und alle können kicken, einige wirklich gut.

Pfiffe sind selten

Die Saalgröße lässt ein Spiel fünf gegen fünf zu, zu Beginn werden vier bis sechs Teams gebildet, und die, die gerade pausieren, sitzen oben auf der Sprossenwand und schauen zu. Eine Partie dauert acht Minuten, das Schiedsrichterpfeiferl wird nach jedem Spiel weitergegeben, Pfiffe sind aber selten, gleich zu Beginn wird das Motto ausgerufen: "Fairplay, boys! Don’t play too hard."

Ayse muss lachen. Die junge Wienerin, deren Eltern aus der Türkei nach Wien kamen und die zweisprachig auswuchs, spielt zwar selbst nicht Fußball, hilft aber mit. Die meisten kickenden Flüchtlinge hier stammen aus Afghanistan, einige von ihnen sprechen leidlich Türkisch. "Jetzt weinst du gleich", ruft einer, als sich alle auf Schulwart-Geheiß die Schuhe ausziehen, in Ayses Richtung. "Gleich wird es hier gewaltig stinken."

Ayse ist über Manuel dazugekommen, beide besuchen die Tourismusschule Modul in Wien-Döbling. Manuel hat der Klasse von der Fußball-Initiative für Flüchtlinge berichtet, neben Ayse haben sich auch Max und Patrick sofort gemeldet. Julian, ein Biologiestudent, und Daniel, ein Hauptschullehrer, sind über Freunde dazugekommen, Gregor ist auf Facebook auf die Initiative gestoßen und hat einfach vorbeigeschaut.

60 helfende Hände

Die Gruppe der playtogethernow-Helfer umfasst mittlerweile dreißig Personen, die sich via What’s App koordinieren. Die Organisatoren Joe, von Beruf Psychotherapeut, und Roland, ein Computerfachmann, denken schon weiter. Mag sein, sie rufen irgendwann auch ein Sportangebot für Frauen ins Leben, vielleicht eine Volleyballgruppe. Mag sein, dass dann auch Ayse mitspielt. Mit den Kickern unterhält sie sich lieber. Esmat, genannt Hessi, ist der mit dem besten Englisch. "Ich bin Sänger", sagt er. "Rap und Hip- Hop." Daheim, in Kabul, sei er auf Konzerten vor mehreren tausend Fans aufgetreten. Seine Texte waren teils "anti-Taliban", teils "anti-Government", deshalb habe ihn seine Familie weggeschickt. "Ich bin jetzt nicht mehr in Lebensgefahr", sagt der 17-Jährige, "aber meine Familie werde ich wahrscheinlich nie wiedersehen. Meine Mutter ist zu krank, um die Reise durchzustehen."

Hessi selbst war einen Monat lang unterwegs, ist über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gekommen, die Passage vom türkischen Festland auf die griechische Insel Lesbos war besonders dramatisch. "14 Menschen in einem winzigen Schlauchboot." Seit kurzem besucht Hessi in Wien eine Handelsakademie, er will "sehr bald sehr gut Deutsch sprechen, das ist das Wichtigste". Und er will weiterhin in der Polgarstraße kicken. "Ich hab auch in Kabul regelmäßig gekickt, nur zum Spaß, so wie hier. Ich liebe diese Initiative, ich bin unendlich dankbar dafür."

Von einer Initiative zu einem Verein

Auch BWH Lokomotive Janecka Hörndlwald hat als Initiative begonnen, doch die Initiative ist längst ein Verein. Der lange Klubname entstand, als die vor zwanzig Jahren gegründete Lok vor drei Jahren mit Blau-Weiß Hetzendorf fusionierte und auch ins USZ Hetzendorf übersiedelte. Janecka, ein Juwelier, ist Hauptsponsor, einige sehr lokale Geldgeber kommen noch dazu, ein Installateur, eine Fahrschule, eine Bank, ein Sportportal, ein Vorstadtbeisl. Der Platz in der Hervicusgasse ist klein, an zwei Seiten des Spielfelds steht nur wenige Meter hinter der Outlinie ein hoher Zaun. Spielfeld und Zaun, hier macht das tatsächlich Sinn.

BWH Lok Hörndlwald ist kein wirklich großer Verein, 1. Klasse A in Wien, siebente Leistungsstufe also, reiner Amateursport. Doch auf die Nachwuchsarbeit wird besonders viel Wert gelegt, neben der Kampf- und einer Hobbymannschaft gibt es neun Nachwuchsteams, der Klub hat 250 Mitglieder und beschäftigt elf Trainer.

Vier der 250 Mitglieder sind Syrer, einer von ihnen kickt seit heuer in der Kampfmannschaft. Bhnan Youssef, genannt "Benny", stammt aus Qamishli, einer 200.000-Einwohner-Stadt im syrischen Norden. Er ist 22 Jahre alt und seit eineinhalb Jahren in Österreich, zuvor hatte er ein halbes Jahr in Beirut verbracht. Sein Onkel Aboud, der seit vierzig Jahren in Wien lebt und zwei Geschäfte für Hochzeitsmode führt, hat ihn hergeholt, die syrisch-orthodoxe Kirchengemeinde in Wien half und zahlte mit. Benny, der aramäischer Christ ist, wurde mit den nötigen Papieren und einem Flugticket ausgestattet, seine Reise war vergleichsweise sehr billig und sehr sicher. "Ich hatte Glück", sagt Benny.

"Fußball war mein Leben, Fußball ist mein Leben"

Onkel Aboud lebt im 13. Bezirk, er hat Benny zum Fußballverein nach Hetzendorf gebracht. Daheim in Qamishli spielte Benny für den Al-Jihad Club in der zweiten syrischen Liga. "Wir wären aufgestiegen, aber dann hat der Krieg begonnen." Benny hätte zur Armee einrücken müssen, wollte aber "nicht auf die eigenen Leute schießen". Mit dem Fußball hatte er nicht viel verdient, aber sein Auslangen gefunden. "Fußball war mein Leben, Fußball ist mein Leben." Sein Deutsch ist nicht perfekt, aber gut, Benny sagt, das Verstehen sei schwieriger als das Reden. Er hat etliche Deutschkurse hinter sich. "Leider sind die Pausen zwischen den einzelnen Kursen relativ lange."

Beim Verein ist er recht gut integriert, mit drei, vier Spielern versteht er sich besser. Der Trainer ist manchmal unzufrieden, wenn Benny zu offensiv agiert, sich nicht hundertprozentig an die taktischen Vorgaben hält. "Ich will immer nach vorne spielen." Sein Traum ist es, weiter nach oben zu kommen, Schritt für Schritt. "Von hier gleich zu Rapid, das ist nicht realistisch. Aber ich traue mir schon zu, professionell zu spielen." Und wenn es nicht klappt? "Dann kann ich vielleicht im Sozialbereich arbeiten. Oder in einer Bank."

Vorerst lernt er Deutsch, vorerst kickt er. Dreimal pro Woche wird trainiert, am Wochenende ist Match. "Wir sind ein kleiner Verein", sagt Johannes Dobretsberger, der Obmann von BWH Lok Hörndlwald. "Wir geben den Spielern Zeit zu wachsen. Aber in der Kampfmannschaft geht es natürlich schon um Leistung." Dem Sport ganz generell und insbesondere dem Fußball, davon ist Dobretsberger überzeugt, komme in der Integration große Bedeutung zu, fast jeder dritte Spieler habe Migrationshintergrund.

Viele Wurzeln, ein Strang

In Hetzendorf bilden österreichische, türkische, serbische, kroatische, nigerianische und eben syrische Wurzeln einen gemeinsamen Strang. Dobretsberger: "Es gibt Konflikte. Aber über allem steht die Regel, dass wir uns mit Fairness und Respekt begegnen, auf und neben dem Spielfeld. Und daran halten sich fast immer fast alle." Religion ist kaum ein Thema. Bei den diversen Festivitäten des Vereins, beim Oktoberfest, beim Punschfest oder beim Sommerfest, sieht man die muslimischen Vereinsmitglieder halt eher nicht mit Bierglas in der Hand. "Ist ja auch kein Schaden", sagt Dobretsberger.

Im österreichischen Sport spielten Migranten lange Zeit kaum eine Rolle. Mag sein, auch das ist ein Grund dafür, dass sich Österreichs Fußball erst in jüngerer Vergangenheit derrappelte. In den sozialen Medien kursieren Nationalteamfotos, auf denen nur jene Spieler zu sehen sind, die keinen Migrationshintergrund haben. Da sind manchmal drei, manchmal vier Spieler zu sehen. Auch Migration hat das ÖFB-Team in die Top 10 der Welt und zur EM-Endrunde 2016 gebracht, siehe Alaba, Junuzovic, Dragovic, Arnautovic, Okotie, Garics.

Keine große Geste

Da nimmt es Wunder, dass sich der organisierte Fußball nicht schon in groß angelegten, Öffentlichkeits-wirksamen Aktionen um Flüchtlinge kümmert. Ihnen Angebote macht, Talente fördert. Die Vereine sind da schneller gewesen, viele kleine Vereine wie BWH Lok Hörndlwald, aber auch große Vereine wie Rapid oder die Austria, die Flüchtlinge zu Spielen einladen oder Trainings organisieren. Das Sportministerium immerhin bittet seit 2012 interessierte TrainerInnen und FunktionärInnen zu Workshops mit dem Titel "Interkulturelle Kompetenz im Sport". In der vor fünf Jahren gegründeten ARGE Integration reden auch die drei Dachverbände ASKÖ, Union und ASVÖ sowie die BSO (Bundes Sport Organisation) mit, siehe www.sportintegration.at. Seit 2008 wird der mit 15.000 Euro dotierte "Integrationspreis Sport" an innovative Projekte vergeben.

Fußball ist anders. Im Fußball gibt es private Initiativen, playtogethernow in der Polgarstraße ist eine davon, "Kicken ohne Grenzen" am Platz des FC Ankerbrot in Favoriten eine andere. Der Fußballbund (ÖFB) sieht zu, wie seine Stars ihre Solidarität mit den Flüchtlingen bekunden, und übt sich in Zurückhaltung. Mag sein, Johannes Dobretsberger kann erklären, warum dem so ist. Der BWH-Lok-Hörndlwald-Obmann, der auch Vizepräsident des Wiener Fußballverbands ist, sagt: "Die Initiative kommt von den Vereinen. Niemand will von oben bevormundet werden. Bevormundung wäre kontraproduktiv. Integration auf den Wiener Fußballplätzen wird gelebt, nicht erst seit heute."

Auch am anderen Ende der Stadt, in der Polgarstraße, wollen sie ja selbst etwas bewirken, etwas auf die Beine stellen. Ein wenig Unterstützung da und dort wäre aber durchaus willkommen. Zum Beispiel gehen die Fahrscheine für dreißig Flüchtlinge, die zweimal die Woche vom dritten in den 20. Bezirk und wieder retour fahren, bald einmal ins Geld. Die jungen playtogethernow-Helfer wundern sich darüber, dass Flüchtlinge in anderen Städten umsonst Öffi fahren können, in Wien aber nicht.

Die dunklen Sohlen sind das geringste Problem. Schon beim nächsten Training in der Polgarstraße tauchen alle mit geeignetem Schuhwerk auf. "Fairplay, boys", ruft Manuel und pfeift die erste Partie an. (Fritz Neumann, 30.10.2015)