Spielfeld: Blick von der Autobahn aus auf die Flüchtlingsstation am Grenzübergang.
Foto: Plankenauer

Spielfeld – Schöner kann der Herbst kaum sein. Nebelschwaden ziehen durch die gelb gefärbten Blätter der Weinberge, im bunten Laub der Mischwälder dominieren tiefrote Farbkleckse. Bloß ein paar Sonnenstrahlen fehlen.

Hier heroben im südsteirischen Weingut Trummer weht die österreichische Fahne, unten öffnen sich die Hügel und geben den Blick auf den Grenzübergang Spielfeld frei.

Brugner, Luger

"Es ist nicht ganz einfach für uns. Wir hören immer die Schreie, dann die Lautsprecher, das geht die ganze Nacht. Das alles ist schon sehr beunruhigend", sagt Weinbauer Trummer und erklärt, was es mit der rot-weiß-roten Fahne auf sich hat. "Die habe ich am Nationalfeiertag aufgezogen und die lass' ich jetzt oben – als Zeichen." "Wir alle haben ein ziemlich mulmiges Gefühl hier an der Grenze", sagt Trummer, "denn wer weiß, wie das alles weitergeht? Wir wollten die Buschenschank ausbauen, aber das lassen wir jetzt. Schlimm war's letzte Woche, wie sie aus dem Lager ausgebrochen sind. Da sind die Soldaten mit den gepanzerten Militärfahrzeugen gefahren mit Lautsprechern oben." Es habe viele hier an den Krieg 1991 erinnert – an den Ausnahmezustand.

"Meinen Vornamen wollen S' noch wissen?", prustet Trummer zum Abschied los. "Josef, in zwei Jahren Jussuf. Na Blödsinn, eh nur a Spaß."

Oben am Weingut Trummer weht die österreichische Fahne.
Foto: Plankenauer

Die Weinberge entlang, schon weiter entfernt von Spielfeld, auf dem Grassnitzberg, erreicht man den Paradewinzer Polz. Reinhold Polz, Geschäftsführer des Polz-Weingutes ist nachdenklich: "Ich hab' ja den ersten Tag, als die Flüchtlinge die Sperren durchbrachen, live miterlebt. Es war sehr beklemmend. Wenn man die Familien sah, die da den kleinen Stöpseln hinterherliefen ... Am zweiten Tag haben sich etliche auch hierher verirrt und sind die Straße lang gezogen."

"Ich krieg gar nix mit"

Je weiter weg vom Hotspot Spielfeld, desto beschaulicher die Herbstkulisse. Gut zehn Kilometer von Spielfeld entfernt dreht ein Bauer mit dem Traktor seine Runden am Feld. "Nein, ich krieg da gar nix mit. Ich hab noch nie einen Flüchtling gesehen."

Gerüchte, dass am nächsten Grenzübergang in Langegg das Bundesheer schon mit Aufbauten zur Grenzsicherung begänne, erweisen sich, wie so vieles in diesen Wochen, als bloßes Gerücht. Im Schanigarten eines slowenischen Grenzlokals sitzt ein Polizist aus Maribor mit seinem Hund. "Ich wohne hier und habe noch keinen Flüchtling gesehen. Hier in der Gegend ist es total ruhig."

Brugner, Luger
Brugner, Luger

Diese Ruhe geht andererseits Herrn Sternad total auf den Geist. Er hat einige hundert Meter von der Grenze Spielfeld entfernt, an der Bundesstraße, ein mit Bananenstauden eingezäuntes Wirtshaus. "Sonst hab ich immer 50 bis 60 Backhendeln verkauft, jetzt am Wochenende nur drei." Abgeschrieben hat er auch sein Bräunungsstudio, die frühere Wechselstube gleich gegenüber. "Die Polizisten gehen jetzt hier aufs Klo", sagt Karl Sternad. Mit den Flüchtlingen habe er "kein Problem". "Gut, sie haben mir die Trauben vom Stock gegessen und die Nuss-Eimer geleert, aber des is mir wurscht, wegen der paar Weintrauben, die sind ja hungrig."

"Zur Selbsthilfe greifen"

Bürgermeister Reinhold Höflechner steht noch immer irgendwie im Eindruck der letzten Tage: "Als hunderte Flüchtlinge die Absperrungen überrannten und durch unsere Straßen marschierten, das war das Schlimmste bisher und hat die Leute total verunsichert. Alles war außer Kontrolle. Jetzt haben wird das einigermaßen im Griff. Eine Grundangst, wo das alles hinführt, ist aber geblieben."

Er sei "total froh, dass jetzt ein Zaun gebaut wird". Höflechner: "Erstens fühlten sich die Leute dann wieder etwas sicherer, zweitens kann alles besser abgewickelt werden, und drittens ist es ein Signal nach außen, dass Flüchtlinge nicht mehr so willkommen sind. Wenn die EU es nicht schafft, die Außengrenzen zu schützen, dann müssen wir halt zur Selbsthilfe greifen. Das sind wir unserer Bevölkerung schuldig."

Mit mobilen Gittern wird derzeit versucht, die Abfertigung von Flüchtlingen zu organisieren. Bald sollen hier andere Baumaßnahmen getroffen werden.
Foto: Plankenauer

Auf dem Hügel direkt beim Grenzübergang ist die weiße Zeltstadt, in der sich tausende Flüchtlinge drängen, gut überblickbar. Polizisten haben hier zur Beobachtung Stellung bezogen. "Es ist a Wahnsinn, keiner wird registriert, wir haben keine Ahnung, wer da aller reinkommt", sagt einer aus der Runde laut vor sich hin. Indessen spielen sich unten im slowenischen Areal dramatische Szenen ab. In der Menschenmenge weitet sich eine Prügelei aus. Erwachsene werden ohnmächtig herausgetragen.

Daneben beobachten Mütter mit drei, vier, fünf Kleinkindern ängstlich das Geschehen. Bullige Dolmetscher rennen auf die streitenden Männer zu und brüllen sie an – heftig, dann ist Ruhe. Wenig später eine Schlägerei am anderen Ende. "Der Faymann soll das alles mal sehen", knurrt ein Polizist. Laut interner Kommunikation, sagt er, befänden sich mehr als 130.000 Flüchtlinge auf der Balkanroute. Das UNHCR spricht von 42.000. Eine Zahlendiskrepanz, die man jetzt wohl einmal so stehen lassen muss. (Walter Müller, Videos: Sarah Brugner & Michael Luger, 29.10.2015)