An einem Wohnwagen, der Teil des Protestcamps war, kleben Blätter, auf denen ein Zeichner unter den Flüchtlingen das Warten, die Gefahren der Flucht und das Gefühl von Ohnmacht, aber auch Hoffnung festgehalten hat.

Fotos: Colette Schmidt

Graz – "Wenn unsere Familien einmal tot sind, gibt es keinen Grund mehr, unseren Protest fortzusetzen", sagt ein 41-jähriger Iraner namens Hussein bitter. Der Mann neben ihm, Abo Khaled, ein ebenfalls 41-jähriger Syrer, nickt. Aber noch wollen sie nicht aufgeben. Die beiden Männer sitzen an einem Klapptisch vor einem Campingbus direkt gegenüber dem Eingang der Polizeidirektion Steiermark am Rand des Grazer Stadtparks. Um sie herum werden Zelte abgebaut. Sie waren Teil des Protestcamps von Asylwerbern, das rund 80 Flüchtlinge mithilfe österreichischer Freunde hier Ende September aufgeschlagen hatten. Am Mittwoch wurde es abgebaut und Journalisten zu einem Gespräch gebeten.

Die Einladungen verschickt hatten Vertreter der Jungen Grünen. Deren Sprecher Johannes Steiner betont am Mittwoch, dass man die Menschen hier nur unterstütze, nicht mehr: "Wir schreiben nicht ihre Statements und sagen ihnen nicht, was sie zu tun haben." Steiner wirft der Polizei vor, eine der Demos der Flüchtlinge als Demo der Jungen Grünen bezeichnet zu haben. "Ich habe nur bei der Anmeldung bei der Polizei geholfen, aber die Demo wurde nicht von uns, sondern im Namen einer Privatperson angemeldet", sagt Steiner.

Angst um die Familien

Hussein ist seit mehr als einem Jahr in Österreich, Abo Khaled seit sechs Monaten. Abo Khaleds Frau und ihre gemeinsamen drei Kinder im Teenageralter sind innerhalb von Syrien in eine andere Stadt geflohen und warten dort darauf, dass sie nach Graz nachkommen können. Doch dafür braucht der Familienvater, der in seiner Heimat Vertriebsleiter war, einen positiven Bescheid. Er hatte jedoch noch nicht einmal sein zweites Interview. Das Gleiche gilt für den Mann neben ihm. Auch ein blinder Mann aus Syrien ist unter den Flüchtlingen.

Sie wollten mit dem Protestcamp und zwei Demos durch die Innenstadt in den vergangenen Wochen auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam machen. Sie fürchten um ihre Familien, die noch nicht in Sicherheit sind. Und sie verstehen nicht, "warum es in der Steiermark so lange dauert, ein zweites Asylinterview zu bekommen", sagt Hussein, der in Kuwait für die Amerikaner als Übersetzer arbeitete. Obdachlos seien sie nicht, betonen Hussein und Abo Khaled, sie campierten hier aus Protest.

"Wir verschwenden unsere Zeit"

"Während wir hier warten, verschwenden wir unsere Zeit", sagt der syrische Familienvater. Die Behörden hatten ihnen von Anfang an gesagt, dass ihre Zelte nichts an der Situation ändern würden, "aber die Polizisten waren wenigstens okay und freundlich, wenn sie auf ihren Kontrollgängen vorbeikamen".

Allerdings erzählen beide Männer auch, dass wiederholt Flüchtlinge, die aus dem Asylamt kamen, das ebenfalls im Polizeigebäude untergebracht ist, von Polizisten einfach beim Camp stehen gelassen wurden. "Ohne Papiere, ohne Verpflegung, die Leute wussten nicht, wohin, man sagte ihnen einfach, alle Unterkünfte seien voll", ärgert sich Hussein. Auf STANDARD-Nachfrage erklärt Polizeisprecher Fritz Grundnig, man werde diesen Vorwürfen nachgehen und versuchen abzuklären, was da geschehen ist.

Kundgebung bei nächster Landtagssitzung

Weil man nicht im Stadtpark erfrieren wolle, breche man die Zelte jetzt ab, nicht aber den Protest. Am 20. November wolle man noch einmal in der Stadt demonstrieren und am 24. November eine Kundgebung vor dem Landhaus während der Landtagssitzung abhalten. "Wir wollen nur, dass die Politiker mit uns sprechen, uns zuhören", sagt Hussein. "Unter uns sind viele Leute mit Talenten, Künstler, gebildete Leute, wir wollen arbeiten und Steuern zahlen wie andere Leute auch." Ob Politiker bisher beim Camp vorbeigeschaut haben? Nur die Grünen-Stadträtin Lisa Rücker war kurz da, heißt es. "Aber sonst viele Leute, die uns Essen gebracht haben, die meisten waren sehr nett", sagt Hussein.

Was er nun nach dem Abbruch des Camps tun werde? "Ich bin im Rotkreuz-Team und helfe an der Grenze in Spielfeld", sagt Hussein. (Colette M. Schmidt, 28.10.2015)