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Steuervermeidung ist legal und nutzt Schlupflöcher im internationalen Steuerrecht aus.

Foto: APA/dpa/Soeren Stache

Jedes Jahr gehen den Staatskassen weltweit hunderte, vielleicht sogar tausende Milliarden Euro verloren – durch "Wirtschaftsflucht’’, also internationale Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Steuerwettbewerb. Was tun?

Diese massive Hinterziehung und Vermeidung von Steuern trägt bei zu leeren Staatskassen, Kürzungen in Sozialbereich, Bildung und Gesundheit und zu Steuererhöhungen für niedrige und mittlere Einkommen. Auf der Gewinnerseite sind jene, die große Finanzvermögen besitzen, die international in Aktien, Anleihen und Fonds veranlagt sind. Das ist in erster Linie das reichste eine Prozent der Haushalte in den Industrieländern.

Wie Hinterziehung und Vermeidung funktionieren

Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sind zwei verschiedene Dinge.

Hinterziehung ist illegal, aber schwer zu ahnden. Hinterziehung wird vor allem von Individuen betrieben, beziehungsweise von ihren Steueranwältinnen, Steueranwälten und Banken. Wer Vermögen besitzt, schuldet in den meisten Ländern verschiedene Steuern: Einkommensteuern auf Dividenden, Zinszahlungen und Kursgewinne, Vermögenssteuern auf den Vermögensbestand, Erbschafts- und Schenkungssteuern bei der Übertragung von Vermögen.

Wer Steuern hinterzieht, deklariert zumindest einen Teil seines Einkommens oder Vermögens nicht. Das funktioniert, weil einige Länder dabei behilflich sind, allen voran die Schweiz und Luxemburg sowie Kleinstaaten wie die Cayman Islands, Hongkong und Singapur. Die Hilfe inkludiert zum einen das Bankgeheimnis. Das ermöglicht es Individuen, Vermögen in der Bank zu lagern, ohne dass die Bank irgendeiner Steuerbehörde meldet, wem das Vermögen gehört. Briefkastenfirmen erlauben es, Vermögen in Länder mit Bankgeheimnis zu transferieren, ohne Verdacht zu erregen. Eine Variante davon sind Stiftungen, eine weitere Konstruktion, die es schwierig macht, Vermögen steuerpflichtigen Individuen zuzurechnen.

Vermeidung ist legal und nutzt Schlupflöcher im internationalen Steuerrecht aus. Vermeidung wird vor allem von großen multinationalen Konzernen betrieben. Die Vermeidungsweltmeister sind Internet- und Computerkonzerne wie Apple, Google, Microsoft und Amazon, die alle praktisch keine Steuern zahlen. Unternehmenssteuern werden vor allem auf der Basis der in einem Land erwirtschafteten Gewinne berechnet. Bei multinationalen Konzernen ergibt sich dabei das Problem, wie Gewinne des Konzerns verschiedenen Ländern zuzurechnen sind. Die rechtliche Grundlage dafür ist der "Fremdvergleichs-Grundsatz", der besagt, dass Leistungen zwischen nationalen Teilunternehmen auf der Basis von Marktpreisen zu verbuchen sind. Nun können aber große Konzerne vielfach fiktive Preise für den Transfer von Eigentum an Patenten, Logos und Marken, Algorithmen et cetera verrechnen und dadurch ihre Profite praktisch beliebig zwischen Ländern verschieben, um ihre Steuerzahlungen zu minimieren.

Woher wir wissen, wie viele Steuern hinterzogen werden

Es mag überraschen, dass wir wissen, wie viele Steuern hinterzogen werden. Die Grundlage der Steuerhinterziehung ist ja gerade, dass Vermögen und Einkommen versteckt werden.

Wie der Ökonom Gabriel Zucman in seiner Forschung ("Steueroasen – Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird" ist auf Deutsch im Suhrkamp-Verlag erschienen) bemerkt hat, hinterlässt die internationale Steuerhinterziehung aber Spuren in verfügbaren Statistiken.

Jedes Land hat Statistiken, wie viel Vermögen Menschen aus anderen Ländern gehört ("Soll") und wie viel Vermögen die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes in anderen Ländern besitzen ("Haben"). Die Summe der beiden Zahlen sollte weltweit gleich sein – außer Marsbewohnerinnen und -bewohner würden viel Vermögen auf der Erde besitzen. Tatsächlich sind die Soll-Positionen aber weltweit wesentlich größer. Die Schweiz berichtet mehr Vermögen, die Ausländern gehören, als Menschen aus anderen Ländern Vermögen in der Schweiz deklarieren. Auf Basis dieser Differenzen schätzt Zucman, dass etwa acht Prozent des weltweiten Finanzvermögens in Steueroasen versteckt sind – das sind etwa 7.000 Milliarden Euro.

Was man dagegen tun kann

Wie schon erwähnt, sind die Gewinnerinnen und Gewinner dieses Systems die Besitzerinnen und Besitzer der größten Vermögen (und auch das organisierte Verbrechen) – zum Schaden aller anderen. Was lässt sich dagegen tun?

Um gegen Steuerhinterziehung zu kämpfen, wäre es wichtig, eine internationale Datenbank zu haben, in der die Besitzerinnen und Besitzer aller Finanzvermögenstitel (Aktien, Anleihen et cetera) registriert sind. Eine solche Datenbank würde es unmöglich machen, Vermögen und Einkünfte aus Vermögen geheim zu halten.

Das ist weniger utopisch, als es klingt. Auf nationaler Ebene gibt es überall solche Datenbanken für Realvermögen (Grund und Immobilien), und in den meisten Ländern auch für Finanzvermögen – außer in Ländern mit Bankgeheimnis wie der Schweiz und – bis vor kurzem – Österreich. Weiters gibt es internationale Datenbanken auf regionaler Ebene, die privat betrieben werden. Diese müssten von einer öffentlichen, internationalen Organisation, zum Beispiel dem IWF, übernommen werden, und Länder mit Bankgeheimnis müssten gezwungen werden beizutreten – notfalls mithilfe wirtschaftlicher Druckmaßnahmen.

Um gegen die Steuervermeidung von multinationalen Unternehmen und den damit zusammenhängenden Steuerwettbewerb zwischen Ländern zu kämpfen, müsste die Basis der Unternehmensbesteuerung reformiert werden. Anstatt Unternehmen zu erlauben, Profite beliebig zwischen Ländern mittels fiktiver Preise zu verschieben, müssten Profite den nationalen Teilunternehmen mittels einer Formel zugerechnet werden. So eine Formel könnte etwa auf Verkäufen und Angestellten in einem Land beruhen. Dann könnten Multis nicht mehr all ihre Profite in Steueroasen verschieben, weil in diesen weder Verkäufe noch Produktion stattfinden. So ein System gibt es schon zwischen den Bundesstaaten der USA. Eine Formel-basierte Zurechnung von Profiten zu nationalen Teilunternehmen könnte in einem ersten Schritt auf EU-Ebene eingeführt werden. (Maximilian Kasy, 29.10.2015)