In Wien-Erdberg wurde eine Legende des Luxus mit viel Aufwand exhumiert.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Ochsenmark mit Kaviar und Steinpilzbouillon.

Foto: Gerhard Wasserbauer

In der Oberen Weißgerberstraße entstand vor bald 40 Jahren ein Lokal, das sich im bleiern-grauen Wien der 1970er als barocke Festung von Lebensfreude und Feierlaune verstand. Die Kuchlmasterei ist ein vom Gastronomen Niky Kulmer geformtes Paradoxon von einem Gourmettempel. Im Keller und Parterre eines Zinshauses verwirklichte der Wirt seinen Traum eines burgundischen Schlosses: mit Torbögen, Säulen und Treppchen, mit massiven Holztramen, steinernen Brunnen oder der wasserlassenden Statue eines Jünglings am Männerklo; und mit anderen Spinnereien mehr, wie sie nur ernsthaften Epikureern einfallen können. Gänseleber und Kaviar, Bluttaube und Trüffeleierspeis wurden dort von Spesenrittern aus Politik, Wirtschaft, Beamtenadel und anderem Lebenskünstlertum mit feinsten Bordeauxweinen und Burgundern hinuntergespült: rebellische Hingabe an irdische Verlockungen.

Als Kulmer 2011 verstarb, war diese "attitude" längst zur Attitüde verkommen. Zu anachronistisch, zu verzweifelt um Protz bemüht wirkte der Schauplatz auf eine neue Generation von Gutessern. Eine aus Russland gebürtige Familie aber hat jetzt Gefallen daran gefunden, eine Totalrenovierung beauftragt und eine beachtliche Mannschaft installiert, um der Bude noch einmal auf die Beine zu helfen.

Mit dem Italo-Chilenen Gonzalo Luzarraga steht ein Mann in der Küche, der dem Vernehmen nach schon für Ducasse gearbeitet und einen Stern erkocht hat. Seine letzte Wirkungsstätte im fernen Jekaterinburg hieß jedenfalls so – wobei: das Restaurant gehört zu einer Mercedes-Niederlassung. Die Kuchlmasterei-Karte ist lang und liest sich spektakulär, von Kaviar über Seeigel und Trüffel bis zu Gänseleber, spanischem Eichelschwein und französischer Mieral-Ente ist geradezu massig Luxusfutter angeführt, das von weit her kommt und für Druck am Gaumen sorgt. Die Preise sind dementsprechend, ein frei wählbares Viergangmenü um 58 Euro mutet angesichts solcher Zutaten jedoch mildtätig an.

Cremig oder breiig?

Man kann nur hoffen, dass die Karte im Umfang reduziert wird – derzeit scheint es nur jedes zweite Gericht in tadellosem Zustand an den Tisch zu schaffen. Sauer marinierte Makrele mit allerhand Wurzeln sieht dekorativ aus, die Konsistenz des Filets ist aber seltsam cremig, um nicht zu sagen breiig – hm. Oder Kalbszunge mit Perigord-Biogänseleber: Wie ein Ildefonso in hauchdünne Schichten gestapelt, hübsch, aber weitgehend ungewürzt. Dazu Walderdbeersauce (?), die zieht auch nicht mit Entschlossenheit gegen das fette Teil ins Feld.

Unvergleichlich besser die Spaghettoni in einer gewagten Salsa aus Germ und Sardellen-Colatura – dicht, intensiv, fordernd, für Freunde stark fermentierter Aromen aber genau das Richtige. Oder hauchfeine, mit eingelegten Zwiebeln und Käse gefüllte Cappeletti in dunkel schillerndem Fond aus gerösteten Kartoffelschalen: mutig, handwerklich perfekt, richtig gut. Der von Sommelier Patrick Hopf dazu servierte Riesling Smaragd 1999 von Schmelz (eine von mehreren tollen Kombinationen) potenziert die Freude mit schön korrespondierender Firnis, Klasse, Erdigkeit.

Vielleicht wäre Luzarraga gut beraten, sich stärker aufs mediterrane Fach zu konzentrieren. Auch das Filet vom Iberico-Schwein mit Seeigel und Auster, am Papier absurd gewagt, fügt sich am Teller zur Komposition. Ochsenmark mit Kaviar und Steinpilzbouillon (siehe Bild) hingegen setzt den obszön teuren Kaviar nicht gut in Szene: Die dicke Markschnitte erschlägt die zarten Fischeier am Teller. Zumindest jene, die zuvor nicht eh schon in der Suppe abgesoffen waren. (Severin Corti, RONDO, 30.10.2015)