Es sei "eine Gabe Gottes", eröffnete Ernst Herbeck 1981 ein Gedicht über das Gesicht.

Foto: Heinz Bütler

Maria Gugging – "Der Morgen: / Im Herbst da reiht / der Feenwind / da sich im Schnee / die Mähnen treffen. / Amseln pfeifen heer / im Wind und fressen".

Diese Zeilen schrieb Ernst Herbeck (1920-1991) im Spätsommer 1960. Er, Patient des psychiatrischen Krankenhauses Klosterneuburg-Gugging, war von seinem Psychiater Leo Navratil aufgefordert worden, ein Gedicht mit dem Titel Der Morgen zu verfassen. Dass Herbecks Poesie einst als OEuvre eines Ausnahmelyrikers in der Österreichischen Nationalbibliothek Platz finden sollte, war nicht absehbar.

Vorläufig waren die kleinen Schreibaufträge zu Impulswörtern, die bald zum Ritual wurden, vor allem eines: Ein neuer Weg zum Ausdruck für einen, dem es die Sprache "weggerissen" hatte. Geboren mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, war Herbeck das Artikulieren von jeher schwergefallen. Gegen das "scharfe Denken" des Vaters war kein Ankommen gewesen. Schulischer Sozialdarwinismus hatte den jungen Mann in die Isolation gedrängt. Mit 20 Jahren kam er aufgrund von Halluzinationen in die Psychiatrie, wo man ihn mit Elektroschocks behandelte.

Niemals wurde korrigiert

Und nun – nach der Diagnose Schizophrenie und 20 Jahren der Hospitalisierung – war da also Navratil, der in den Texten Herbecks "Gaben" sah. Hatte Herbeck auch Schwierigkeiten, mit der Sprache selbstverständlich umzugehen, bedingt durch eine Übersensibilität für das ewige Aneinandervorbei von Sprache und Welt: Niemals wurde etwas korrigiert oder redigiert. Auch nicht von Herbeck selbst. "Der Dichter / ordnet die Sprache / in kurzen Sätzen. / Was über ist, ist das / Gedicht selber", notierte er. War ein Gedicht hingeschrieben, so ließ er ihm seinen Lauf. Von einem "Stillhalteabkommen" zwischen Arzt und Patient, einem "Zeichen des Respekts, dass etwas nur so und nicht anders gesagt werden kann", spricht Gisela Steinlechner.

Die Germanistin ist Kuratorin einer sehenswerten Ausstellung, mit der das Museum Gugging derzeit in den Kosmos Ernst Herbecks einlädt. Versammelt sind dabei nicht nur Texte und Zeichnungen (etwa über Herbecks Affinität zu Tieren). Über Fotos einer gemeinsamen Bootsfahrt nähert man sich auch der Freundschaft mit Navratil an. In einer Installation lauscht man einer der seltenen Lesungen des Dichters, der zerbrechlichen Sprechstimme des Dichters.

In Heinz Bütlers Dokumentarfilm Zur Besserung der Person (1981) präsentiert sich Herbeck indes geradezu als Diva. Er spannt etwa die Geduld Navratils auf die Folter, indem er sich vor dem inszenierten Schreibritual noch genüsslich eine Zigarette dreht. Tatsächlich führt Bütlers Film in jene Zeit, als Herbeck längst als Dichter reüssiert hatte und wohl die Genugtuung auskostete, den "bösen Nörglern" an seinen Sprachfehlern etwas bewiesen zu haben.

"Erstgeborener der Sprache"

Und das hat er gehörig: Als Navratil 1966 einige Texte Herbecks in die Studie Schizophrenie und Sprache aufnahm, war die Resonanz in der Kunstwelt groß. Ernst Jandl und Friederike Mayröcker waren begeistert, André Heller sah den "Erstgeborenen der Sprache". Weitere Buchveröffentlichungen – zunächst unter dem Pseudonym Alexander – folgten. Der Autor Heinar Kipphardt nahm Herbeck zur Vorlage für einen antipsychiatrischen Werkkomplex. Immerhin traf Herbecks Poesie den Nerv einer Zeit, die erkannte, dass die Grenzen zwischen Norm und Abweichung längst nicht so leicht zu ziehen sind, wie die längste Zeit gedacht.

Über allem Erfolg bleibt Herbeck, der sich einmal als "ärmster aller Poeten" bezeichnete, freilich ein ambivalenter Superstar: Kam seine Poesie, die sich genialerweise jedem Diktat der Konvention entzog, doch immer noch vor allem aus dem Hadern mit der Sprache, die er einmal als "Not-wendigkeit" bezeichnete. (Roman Gerold, 27.10.2015)