Das neue Ensemble des Wiener Schauspielhauses versammelt fünf Nationen: Steffen Link, Vassilissa Reznikoff, Sophie Löffler, Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman Sebastian Schindegger (v. li.).

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Tomas Schweigen inszeniert "Punk und Politik".

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Wien – Ein Gorilla mit artgerecht ausladenden Armen ist zum Maskottchen des neuen Schauspielhauses geworden. King Kong war das erste Filmmonster, das nicht der Literatur entsprang, sagt Tomas Schweigen. Und genau dieser Gedanke des Originären gefällt dem neuen Direktor. Am Plakat der Alsergrunder Mittelbühne herzt der Primat derzeit das Burgtheater. Schweigen ergänzt: "King Kong ist ein Monster mit weichem Herzen. Und das sind wir auch."

Der 1977 in Wien geborene Regisseur und Theaterleiter – er hat zuletzt als Schauspielchef am Theater Basel gearbeitet, u. a. mit seiner Gruppe Far A Day Cage – scheut keine radikalen Schnitte. Mit einem gänzlich neuen Tross von sieben Schauspielern nimmt er das Haus in der Porzellangasse am Samstag in Betrieb. Dass die Darsteller aus fünf verschiedenen Nationen stammen, ist im Theaterbetrieb eine erwähnenswerte, aber keine allzu große Besonderheit mehr. Das Operieren mit Fremdsprachigkeit bzw. mit Sprachfärbungen gehört zur zeitgenössischen Theaterarbeit dazu. Insbesondere wenn man neue Ästhetiken und Formen probieren möchte, wie Schweigen es ankündigt. Das Schauspielhaus war immer ein Ort für Experimente – und an diese Tradition aus Zeiten von George Tabori und Hans Gratzer möchte Schweigen anknüpfen.

Desgleichen gedenkt er die Geschichte des Hauses als Stätte literarischer Neuentdeckungen hochzuhalten; deren namhafteste Exponenten reichen von Werner Schwab bis Ewald Palmetshofer. Unter anderem will Schweigen den britischen Autor Chris Thorpe im deutschsprachigen Raum bekannt machen – mit der Erstaufführung des Episodenstücks Möglicherweise gab es einen Zwischenfall(Premiere am 6. November).

Dass sich der Begriff des Autorentheaters derzeit im Wandel befindet, dem trägt das Schauspielhaus ebenfalls Rechnung. Man arbeitet, sofern sinnvoll, auch im Kollektiv. "Wir haben es bei diesen Produktionen nicht mehr mit einem "klassischen Stück" zu tun, das als fertige Vorlage für einen Abend dient. Vielmehr werden Ensemble oder Zuschauer zu Co-Autoren", so Tomas Schweigen. Das beste Beispiel dafür ist Punk & Politik am kommenden Eröffnungswochenende, das zwecks Publikumsbündelung ineinandergreifend mit dem Auftakt des Brut programmiert wurde. Punk & Politikbesteht wesentlich aus Texten, die bei Improvisationen entstanden sind und die mit anderen politischen und literarischen Quellen kombiniert werden.

Das Stück basiert auf der ungewöhnlichen Karriere des isländischen Musikers und Politikers Jón Gnarr, aus dessen spaßiger Protestpartei einst Ernst wurde. Bis 2014 war er Bürgermeister Reykjavíks. Dieser ungewöhnliche Werdegang hat Tomas Schweigen und sein Team zur Frage inspiriert, "ob es nicht einen neuen Typus Politiker*innen braucht". Der Regisseur weiter: "Es wird ein Abend, der hintergründig, aber humor- und lustvoll über Auswege aus der Krise der Europäischen Politik nachdenkt." Und: "Nebenbei thematisieren wir auch die Position, die Theater in einer Zeit der gesellschaftlichen Repolitisierung haben könnte."

Mit Ausnahme eines Gastspiels (Islam für Christen. Level 1) finden sich ausschließlich Ur- und Erstaufführungen im Programm; ein Weg, den schon Vorgänger Andreas Beck eingeschlagen hatte und auf dem es nicht verboten ist, sich mit der klassischen Dramenliteratur auseinanderzusetzen. Im Jänner, wenn der angekündigte En-suite-Betrieb dann tatsächlich Realität wird, stellt Bernhard Studlar seine Neudichtung von Arthur Schnitzlers Der grüne Kakadu vor. Bis dahin soll das Publikum, so Schweigen, vom Repertoirebetrieb sanft entwöhnt sein. (Margarete Affenzeller, 28.10.2015)