Der Mächtige im Wahn: Mord und Moral gehen für Michael Fassbender als "Macbeth" nicht zusammen.

Foto: Constantin Film

Wien – Macbeth ist auf den Bühnen der Welt in etwa so beliebt wie Game of Thrones auf der Couch. Ein Blockbuster. Kein Wunder: Intrigen, Morde, Magie und Machtkämpfe in Mittelalterästhetik – was Letzteres hat, hat Shakespeares Tragödie schon lang. Nicht anders muss es auch auf der Kinoleinwand zugehen. Auf jene versucht Justin Kurzel den Stoff in seinem neuesten und erst zweiten Spielfilm deshalb zu bringen. Und das gelingt dem Australier, der ansonsten auch Werbefilme und Musicclips gedreht hat, mit einem artifiziellen Kniff grandios!

"Wär's abgetan, so wie's getan, wär's gut, 's wär schnell getan", wägt der verdiente Heerführer Macbeth Tat gegen Mut und Moral ab. Heute Nacht will er seinen Vorgänger (David Thewlis) ermorden, um selbst, wie prophezeit, König von Schottland zu werden. Doch's ist nichts abgetan, so wie's getan! Deshalb ist Macbeth eine der großen tragischen Figuren der Theaterliteratur: einst ehrlich und tapfer, wird er nach der Tat zum Tyrann und Nervenbündel.

Vom eingangs erd- und blutverschmierten Krieger ist nach 50 Minuten nämlich nicht mehr viel übrig. Herausgeputzt und rein bis auf sein Gewissen und das Königsblut an den Händen kauert Michael Fassbender da frisch gekrönt in seiner Burg, kratzt mit dem Dolch über den Boden, stiert, grübelt. Von der Angst, seine Untat könnte auffliegen, zunehmend zerfressen, wird er langsam wahnsinnig.

"Sei ein Mann!", könnte seine schöne Lady Macbeth jetzt wieder sagen, würde das noch etwas nützen. Stark und kalt spielt sie Marion Cotillard. Seit dem Umzug auf den Königsthron ist sie auch noch courtoise geschnürt und frisiert. Die Macht steht dieser treibenden Kraft hinter dem Komplott besser als ihm. Nicht umsonst hat sie vorher in der Holzkapelle noch gebetet, die Geister mögen ihr Grausamkeit geben. Denn Macht braucht Härte. Macbeths krankes Gemüt aber wird immer mehr zur Gefahr, die sie beide auffliegen lassen könnte. Und auch an ihr, die heimlich zum toten Kind spricht, geht der blutige Aufstieg nicht spurlos vorüber.

Gewalt, Poesie, Realismus

Kaliber wie Orson Welles (1948) und Roman Polanski (1971) haben den Stoff bereits verfilmt: der eine beinah abstrakt-experimentell, der andere effektvoll spektakulär, aber intellektuell leer. Eine menschliche Perspektive wollte Kurzel finden; eine zeitgemäße Interpretation des 400 Jahre alten Powerpaars, das während des Beischlafs (schnell im Stehen erledigt) mal eben einen Mordplan austüftelt – eigentlich aber nur die Leere nach dem Verlust des eigenen Kindes füllen will. Posttraumatische Belastungsstörung und Psychose lautet sein Urteil, wenn Macbeths Mannen rätseln, ob es Tollheit oder doch tapfere Wut sei, die jenen immer umfassender metzeln und Frauen wie Kinder auf dem Scheiterhaufen niederbrennen lässt. Wo Shakespeare noch oft dunkle Magie als Erklärung einbringt, gibt es hier nur mehr den Realismus der Psychologie.

Dass das alles mehr als ein Blockbuster-Blutvergießen ist, dafür sorgen zudem Sprache und Kamera. Natürlich gibt es bluttriefende Gewaltszenen, immerhin ist es Shakespeare! Doch redet man auch in dessen Versen von 1606! Nicht immer leicht verständlich und häufig auch aus dem Off über die Bilder monologisiert, machen jene Kurzels Macbeth zu einem Charakter, der mindestens so viel sagt wie tut. Die Distanz, die die Dichtung als Reflexionsebene zur Handlung einnimmt, kompensieren Großaufnahmen von dramatischen Gesichtern. Wann sonst ist eine Träne über Macbeths Wange gerollt?

Auch die gewaltige Naturkulisse des schottischen Hochlands tut das ihre. Nebelverhangen zwischen Wasser und Feuer liefert sie atmosphärische Stimmungsbilder zum Plot rund um den Aufstieg. Unterlegt mit fast leiernder Musik wird oft zeitzerdehnend erzählt, scheinen die wahrnehmenden Sinne verzerrt. Ein episches Tasten zweier einsamer Figuren im Wahn der Macht. (Michael Wurmitzer, 28.10.2015)