Lauter Körper in der Horizontale: In "Minotauro" wird das Nachmittagsnickerchen zum Dauerzustand.

Foto: Viennale

In "Cemetery of Splendor" laborieren Soldaten an der Schlafkrankheit.

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Eine Krankenstation in Khon Kaen, im Nordosten von Thailand. Die Soldaten, die hier behandelt werden, leiden an einer mysteriösen Schlafkrankheit. Nichts kann ihren Zustand dauerhaft stabilisieren. Damit sie zumindest schöne Träume haben, werden sie an fluoreszierende Stäbe angehängt, bizarre Maschinen, deren Licht auch die Bilder des Films in leicht surreale Farben taucht.

Die Bilder der Schlafenden funktionieren in Apichatpong Weerasethakuls Cemetery of Splendor wie ein Nullpunkt. Als Zuschauer ist man sofort in der richtigen Verfassung, um sich auf die Durchdringung unterschiedlicher Realitätsebenen einzulassen. Erinnerung und Geschichte, Mythos und Realität, Traum und Wachzustand gehen so selbstverständlich ineinander über, dass der Satz, das Kino des Thailänders überwinde Grenzen, falsch anmutet. Es gibt eigentlich keine Grenzen mehr.

Schlafen spielt auch im neuen Film von Nicolás Pereda eine zentrale Rolle. Wie Weerasethakul ist der 1982 geborene Mexikaner ein großer Eigenbrötler des Weltkinos, der sich in seinen Arbeiten immer wieder mit Fragen von Klasse und sozialen Hierarchien befasst; abstrakter, introvertierter, als man das aus dem Arthousekino kennt. Minotauro ist ein Film über drei Menschen in einem Appartement, deren Körper von großer Müdigkeit befallen sind. Am Anfang sacken die Figuren noch über der Lektüre von Büchern ein, aus denen sie Passagen vorlesen; dann nimmt die Trägheit weiter zu, eine Frau hängt halb über dem Bett, die Körper bilden komische Knäuel oder schleppen sich mit letzter Kraft durch den Raum.

Um Träume geht es bei Pereda, der sich von Alain Resnais' Letztes Jahr in Marienbad inspirieren ließ, jedoch nicht mehr. Die Lethargie ist bei ihm – wie auch die Rezeption von Literatur – das Privileg einer höheren Gesellschaftsschicht. Während dem Trio die Nachmittagssonne über die Gesichter wandert, erscheint eine Haushälterin als einzig agile Person im Raum, die rund um die Schlafenden für Ordnung sorgt.

Ihre Präsenz wirft auf den kollektiven Tagtraum ein anderes, beunruhigenderes Licht. Aus verträumter Nostalgie wird Lethargie, die Unfähigkeit, sich wieder selbstständig aufzurichten.

Stillstand und Erneuerung

Die Schlafkrankheit hat auch bei Weersathekul gesellschaftliche Ursachen. Das provisorische Spital der Soldaten liegt auf dem Grundstück eines Friedhofs von Königen, auf dem schon in der Vergangenheit Schlachten geschlagen wurde. Jenjira Pongpas Widner, eine von Weerasethakuls Stammschauspielerinnen, ist Jenjira, eine freiwillige Helferin, die sich vor allem dem Patienten Itt verbunden fühlt. Sie ist einer der Angelpunkte des Films, der sich in verschiedene Richtungen hin öffnet, um die spirituelle wie körperliche Versehrtheit der Figuren auszuloten, in der stets das gesellschaftliche Ganze widerhallt.

Mit Keng tritt dann eine jüngere Frau auf, die über mediale Fähigkeiten verfügt und sich Zugang zu den Träumen der Schlafenden verschaffen kann. Um diese imaginäre Verbindung herzustellen, benötigt Weerasethakul keine aufwändigen Mittel. Die Kunst seines Kinos liegt in der Erschaffung von Schwebezuständen, in denen Bilder und Töne so zusammenwirken, dass das Unwirkliche sich wie ein sanfter Schleier geschmeidig über das Wirkliche legt.

Das kann in einer Szene dann so aussehen, dass Jenjira Keng die Narben auf ihrem Oberschenkel zeigt. Keng ist in diesem Moment jedoch schon der Soldat Itt, der die Körperstelle mit Beerensaft benetzt und zu küssen beginnt. Eine zärtliche Szene, die die komplizierte Ausgangslage sehr umstandslos zu überwinden versteht. (Dominik Kamalzadeh, 27.10.2015)