Nicht die Eltern sollten sich um die besten Volksschulplätze boxen – die Schulen sollten sich mit dem besten Angebot um Schülerinnen und Schüler bemühen.

Christian Fischer

Eines der wichtigsten Themen, das im verwichenen Wien-Wahlkampf komplett unterging, war das Bildungs- oder konkreter: das Schulthema. Zwar hatten es Grüne und Neos zumindest plakatiert – Erstere mit dem flotten Slogan "G’scheite Bildung wär nicht blöd" und einem Pippi-Langstrumpf-frechen, Zunge zeigenden Mädchen. Letztere verknüpften das Thema mit der Neiddebatte und propagierten "G’scheite Kinder statt g’stopfte Politiker".

Eine tiefergehende inhaltliche Auseinandersetzung darüber, wie es an Wiens Schulen weitergehen soll, gab es freilich nicht. Das wäre aber dringend notwendig. Wer etwa gerade dabei ist, sein eben schulpflichtig gewordenes Kind an einer öffentlichen Wiener Volksschule einschreiben zu wollen, kann die Tatsache nicht ignorieren, dass die Qualitäten dieser Schulen höchst unterschiedlich sind – beziehungsweise von anderen Eltern höchst unterschiedlich bewertet werden.

Gerüchte und Ängste

Einmal heißt es, in Schule X werde nur stupide gestuckt, dann heißt es wieder, dort seien Lehrer besonders engagiert. Man hört, in Schule Y gingen Kinder täglich ins Freie, man lege Wert auf ausgewogene Unterrichtsgestaltung zwischen Lernzeiten und Bewegungszeiten. Einen Tag später wird man gewarnt, das sei zwar in der Theorie so, aber in der Praxis hänge das sehr von der jeweiligen Lehrerin ab. Man möge sich also beim Tag der offenen Tür die infrage kommenden Pädagoginnen genau ansehen – als ob man das aufgrund eines kurzen Kontakts, bei dem sich zig andere Eltern drängen, beurteilen könnte.

Ein großes Geheimnis ist auch, wie man sich taktisch geschickt so anmeldet, dass der hoffnungsvolle Nachwuchs dann an der "richtigen" Schule landet. Und im Kindergarten hört man, natürlich unter der Hand, dass die lieben Kleinen vor allem eines lernen müssen: grüßen, Hand geben, dabei dem Erwachsenen (der Lehrerin/Direktorin) in die Augen schauen.

Entspannen geht nicht

Man ist leicht fassungslos: Was, wenn das Kind beim Vorstellungsgespräch in der Schule der Wahl nicht "funktioniert"? Kommt es dann zur Strafe in jene Schule, von der wirklich alle sagen, dort sei es furchtbar? Kann man das verhindern, indem man das eigene Kind, abseits der Vorschulvorbereitungen im Kindergarten, in weitere Vorbereitungskurse schickt?

Es ist leicht, betroffenen Eltern zu raten, sie sollten nicht auf "helicopter parents" machen und sich gefälligst entspannen. Das Problem, das hinter all der Unruhe steckt, sind nicht nur übermotivierte Eltern, sondern ist ein höchst intransparentes Schulsystem – und, daraus resultierend, ein tief sitzendes Misstrauen vieler Eltern gegenüber dem Schulsystem und der Qualität und Motivation des Lehrpersonals.

Mehr Wettbewerb

Eltern entspannten sich leichter, wenn klar wäre, dass die Stadt nur Lehrer in ihre Dienste nimmt, die Kinder mögen, pädagogisches Talent besitzen und die langen Sommerferien eher als nachgereihte Jobmotivation betrachten. Wenn sich herumsprechen würde, dass in Wien nur die besten Pädagogen unterrichten und Schulen untereinander einen Wettbewerb austragen, wer es besser schafft, Kinder zu motivieren und bestmöglich ihre Fähigkeiten zu fördern – statt ihnen den natürlichen Spaß am Lernen abzugewöhnen.

Zukunftsaufgabe

Und Eltern wären auch beruhigt, wenn sie sich sicher sein könnten, dass an allen Wiener Schulen Kinder am Nachmittag nicht nur aufbewahrt, sondern unterstützt und gefördert werden – und obendrein auch genügend frische Luft und Bewegung bekommen.

Da man ja gerade dabei ist, ein neues Koalitionsübereinkommen zu verhandeln: Das zu verbessern oder zu beheben wäre doch eine schöne Zukunftsaufgabe für Wien, das als Land für den gesamten Pflichtschulbereich der Stadt zuständig ist. Nicht die Eltern sollten sich um die vermeintlich besten Schulplätze keilen – die Schulen sollten mit dem denkbar besten Angebot um Schülerinnen und Schüler werben. Damit könnte sich Rot-Grün in Wien ein lebendiges Denkmal setzen. (Petra Stuiber, 27.10.2015)