Potsdam/Wien – Die meisten Länder sind sich prinzipiell über das Vorhaben einig, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu beschränken. Uneinigkeit herrscht aber darüber, wer wie viel dazu beitragen soll. Im Fachblatt "Nature Climate Change" zeigen Forscher nun, dass das Zwei-Grad-Ziel erreichbar wäre, wenn eine große Volkswirtschaft wie die EU oder USA als Vorbild vorangehen würde – dann brauche es nicht einmal gleiche Regeln für alle.

"Wenn die EU oder die USA bei Klimamaßnahmen mit gutem Beispiel vorangehen würden, könnte die Verhandlungsblockade über eine gerechte Lastenverteilung gebrochen werden", erklärte Studienautor Malte Meinshausen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Analysen der Forscher zeigen, dass dazu eine der großen Volkswirtschaften ihre aktuellen Zielwerte zur Reduktion der Emissionen bis 2020 verdoppeln müsste.

Dies würde zwar erhebliche Anstrengungen bedeuten, scheine aber gleichzeitig eine der wenigen Möglichkeiten zu sein, die Weichen für eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu stellen und eine drastische Zunahme der Wetterextreme und des Anstieg des Meeresspiegels zu verhindern, so Meinshausen.

Pro-Kopf-Senkung vs. historischer Ausgleich

Hintergrund des Vorschlags sind die beiden Lager, die sich in der Klimafrage gebildet haben. Das eine, dem EU und USA angehören, verfolgt das Ziel, die Pro-Kopf-Emissionen in jedem Land bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa 2050, ungefähr auf das gleiche Niveau zu senken. Das andere Lager, unter anderen mit China und Indien, tritt für ausgleichende Gerechtigkeit ein. Demnach sollten auch die in der Vergangenheit verursachten Emissionen berücksichtigt werden. Das würde bedeuten, dass jene, die in den vergangenen Jahrzehnten weniger klimarelevante Schadstoffe emittiert haben, in Zukunft pro Kopf mehr ausstoßen dürfen.

Die Forscher haben nun berechnet, um wie viel eine große Volkswirtschaft ihren Ausstoß an Treibhausgasen senken müsste, wenn alle anderen Länder dem für sie günstigsten der beiden Wege folgen – die Wissenschafter nennen dieses Konzept "diversity-aware leadership". Unter der Voraussetzung, dass sich die meisten wirtschaftlich relevanten Staaten auf die eine oder andere Weise daran beteiligen, erscheine dies weniger utopisch als eine einheitliche Regelung, erklärte Koautorin Louise Jeffery vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

In einem solchen Szenario müssten die USA ihr Ziel zur Reduktion der Emissionen gegenüber 2010 auf rund 50 Prozent (statt derzeit 22 bis 24 Prozent) bis 2030 anheben. Das EU-Ziel der Emissionsreduktion gegenüber 2010 müsste bei 60 Prozent statt derzeit 27 Prozent liegen.

Warnung vor Verhandlungspatt

Theoretisch könnte auch China die Vorreiterrolle einnehmen, die Wissenschafter bezeichnen dies aber aufgrund der vorliegenden Zahlen als "unwahrscheinlich". Denn als Vorbild müsste China seine Emissionen um 32 Prozent gegenüber 2010 reduzieren. Wenn man aber die geringen historischen Emissionen des Landes einrechnet, bedeute das einen notwendigen Rückgang des Treibhausgas-Ausstoßes von nur vier Prozent.

Die Wissenschafter verweisen auf den Weltklimagipfel in Paris im Dezember. Was die Staaten dafür bisher auf den Tisch gelegt hätten, reiche nicht, um die globale Erwärmung unter der Zwei-Grad-Grenze zu halten. "Deshalb können die derzeit 'beabsichtigten nationalen Beiträge' (Intended Nationally Determined Contributions, INDC) nur als ein erster Schritt in die richtige Richtung gesehen werden", so Koautor Sebastian Oberthür von der Freien Universität Brüssel. Wenn so lange nichts getan werde, bis es eine einheitliche Vereinbarung zur fairen Verteilung von Emissionsreduktionen gebe, "dann wird das Ergebnis nur in dem Sinn fair sein, dass alle verlieren – weil der Klimawandel uns alle treffen wird", sagte Oberthür. (APA, red, 28.10.2015)