Dass es eine Konfrontation mit wochenlangem Anlauf ist, hat den Ärger kaum gebremst. Chinas Außenministerium schimpfte am Dienstag in der gewohnten Schärfe über den US-amerikanischen Angriff auf die "chinesische Souveränität". Zuvor hatte das Pentagon den Zerstörer USS Lassen innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone um jene künstlichen Inseln kreuzen lassen, die Peking bei den umstrittenen Spratly-Inseln aufschütten ließ. Die USA hingegen sprechen China mit Blick auf ihr eigenes Programm zur Navigationsfreiheit die Hoheit über das Gebiet ab. Dabei geht es Washington auch darum, die Verbündeten in der Region zu beruhigen. Und jene Staaten für sich zu gewinnen, die so wie Vietnam keine traditionellen Verbündeten Washingtons sind.

Freilich: Dort, wo es um konkrete Handlungen geht, bleiben beide Seiten auch am Dienstag zurückhaltend. Chinas Außen- und Verteidigungsministerium verwiesen schon da auf den jeweils anderen, wo es nur um simple Sachfragen ging. Etwa jene, wo genau die USS Lassen chinesisches Seegebiet verletzt habe. Sehr ähnlich lasen sich auch die Mitteilungen aus den USA. Die Einberufung des US-Botschafters in das chinesische Außenamt ist zwar ein starkes Statement. Wirkliche Maßnahmen wollten vorerst weder Peking noch Washington setzen. Und wenn das doch noch geschieht, ist vorerst davon auszugehen, dass sie in einem weitgehend symbolischen Rahmen bleiben.

Kalkulationen und Mutmaßungen

Der aktuelle Streit folgt dem bekannten Muster: China beharrt auf seinen Grenzen in der eigenen Definition, die USA darauf, dass diese nicht gelten. Man spricht davon, das Gebiet nicht militarisieren zu wollen – während Peking Landebahnen baut und die USA Zerstörer schicken. Beide provozieren nur bis zu jenem Punkt, an dem Zusammenstöße noch unwahrscheinlich scheinen. Bisher ist man damit gut gefahren. Doch es ist ein gefährliches Spiel, denn es beruht zwangsweise auf Mutmaßungen über Ziele und Motive, die man nicht kennen kann.

Und selbst dann, wenn die Einschätzungen stimmen, gibt das wenig Sicherheit. Erstens, weil es jederzeit zu einem Missverständnis kommen kann, das schnell fatale Folgen hätte. Zweitens, weil nicht nur China und die USA betroffen sind, sondern auch die anderen Anrainerstaaten. Es ist nicht nur eine Kalkulation mit einer Unbekannten, sondern mit einem halben Dutzend. Fast allen Anrainern gilt die Frage der Seegrenzen als eine des Nationalstolzes. Und anders als die USA und China können sich deren Regierungen nicht auf ausreichende militärische Abschreckung verlassen. Entsprechend groß ist die Nervosität.

Das Problem löst sich nicht von selbst

Um zu vermeiden, dass es letztlich doch zu einer Konfrontation kommt, müssten die USA und China mehr Verantwortungsbewusstsein zeigen als bisher. Sich darüber einig zu sein, dass man verschiedene Ansichten hat, ist nicht genug. Und in der vagen Hoffnung zu verharren, dass sich das Problem schon lösen wird, wenn man nur lang genug auf dem eigenen Standpunkt verharrt, wird eines Tages doch zur Eskalation führen.

Gespräche sind schwierig, und auf kurze Sicht führen sie vermutlich zu neuem Streit. Ob es dabei überhaupt eine Einigung geben kann, ist mehr als fraglich. Doch angesichts der Alternative darf das kein Grund dafür sein, dass weiter auf Gipfeln und im diplomatischen Kontakt nur aneinander vorbeigesprochen wird. (Manuel Escher, 27.10.2015)