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Polizeikontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze in Freilassing.

Foto: Matthias Schrader/ap

München/Wien – Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat Österreich mangelnde Koordination des Flüchtlingszustroms an den ost- und südostbayerischen Grenzen vorgeworfen und sieht die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Pflicht. "Dieses Verhalten Österreichs belastet die nachbarschaftlichen Beziehungen", sagte der CSU-Vorsitzende der "Passauer Neuen Presse" (Dienstagausgabe).

Seehofer fügte hinzu, es sei nun Merkels Aufgabe, mit der Regierung in Wien zu sprechen. "Die wichtigste Maßnahme, die sofort zu treffen wäre, wäre ein Telefonat der Bundeskanzlerin mit Österreichs Kanzler Faymann." Schließlich habe ein Telefonat der beiden Regierungschefs auch die Politik der offenen Grenzen eingeleitet, argumentierte er.

"Möglichst schneller Durchzug"

Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann kritisierte die österreichischen Behörden. "Da wird nur auf möglichst schnellen Durchzug geschaltet, und das können wir so nicht akzeptieren", sagte der Christsoziale am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk (Bayern 2, "Radiowelt am Morgen"). "Das ist ein unverantwortliches Verhalten der österreichischen Kollegen."

Hermann ergänzte, Österreich bringe ohne Vorankündigung tausende Flüchtlinge an die Grenze und sei bisher zu keiner Zusammenarbeit bereit. "Ich habe das so mit Österreich noch nie erlebt." Falls sich dies nicht grundlegend ändere, müsse an der Grenze restriktiver verfahren werden, warnte er.

"Engster Kontakt"

Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) unterstrich am Dienstag, dass Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) "in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel" stehe. Erst am Sonntag beim Sondertreffen in Brüssel hätten die beiden Regierungschefs wieder ausführlich über die gemeinsame Vorgangsweise gesprochen, so Ostermayer in einer Aussendung. Er selbst sei auch auf Koordinatorenebene "in Abstimmung mit dem deutschen Kanzleramtsminister Peter Altmeier".

Zu den Aussagen Seehofers erklärte Ostermayer: Wenn die Flüchtlinge einmal unterwegs seien, gehe es nur mehr um die Entscheidung, "versorgt man die Menschen medizinisch und mit Nahrungsmitteln oder lässt man sie erfrieren. In dieser herausfordernden Situation müssen wir menschlich handeln."

Verwiesen wurde auch auf die neu eingerichteten Kontaktpunkte zur Zusammenarbeit europäischer Staaten in der Flüchtlingskrise. Faymann hatte seinen Europa- und Außenpolitischen Berater Raphael Sternfeld als Kontaktperson nominiert. Im Rahmen des Sondertreffens in Brüssel war entschieden worden, dass alle Länder entlang der sogenannten Westbalkanroute und auch die Europäische Kommission eine Kontaktperson melden, die die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Staaten vereinfachen und verbessern solle.

"Die Normalität des Handelns"

Auch Merkel selbst wies den Vorwurf einer mangelnden deutsch-österreichischen Absprache in der Flüchtlingsfrage zurück. Seit Frühsommer gebe es "fast konstante tägliche Kontakte zu Österreich auf allen Ebenen", sagte Merkel in Berlin. Man habe auch am Dienstag bereits Kontakt nach Wien gehabt. "Deshalb ist das die Normalität unseres Handelns", so die deutsche Regierungschefin zu den Forderungen Seehofers, die Regierung in Berlin müsse sich enger mit Österreich abstimmen.

Der oberösterreichische Landespolizeidirektor Andreas Pilsl verlangte unterdessen im Ö1-"Mittagsjournal", dass die deutschen Behörden die Zahl der Grenzabfertigungen von Flüchtlingen verdoppeln. Derzeit werden 50 Personen pro Stunde pro Grenzübergang durchgelassen. Für die Exekutive gehe der Einsatz mittlerweile "an die Substanz", so ein Polizeisprecher.

"Eine realistische Quote muss es ermöglichen, dass wir den Andrang, der von Süden kommt – abgezogen jene, die in Österreich bleiben werden und wollen und auch hier Asyl beantragen – weitertransportieren können", sagte Pilsl. "Ansonsten werden wir die Menschen an den österreichischen Grenzen stehen haben und Dinge erleben, die wir nicht erleben wollen."

"Keine Vorwarnung"

Auch am Montagabend waren an der deutsch-österreichischen Grenze wieder zahlreiche Flüchtlinge eingetroffen. So habe man in Wegscheid nahe Passau auf einen Schlag 2.000 Menschen versorgen müssen, sagte am Dienstag der Sprecher der deutschen Bundespolizei in Bayern, Frank Koller. "Wir konnten uns darauf nicht vorbereiten." Von den österreichischen Behörden habe es keine Vorwarnung gegeben. Dabei seien die Flüchtlinge vermutlich mit Bussen zur Grenze gefahren worden. Am gesamten Montag kamen im Raum Passau demnach 8.000 Flüchtlinge an. Für Dienstag rechnete die deutsche Bundespolizei dort erneut mit bis zu 8.000 Flüchtlingen.

Die Polizei in Oberösterreich betonte am Dienstag, mangelnde Koordination beim Zustrom an den Grenzen, wie von Seehofer kritisiert, gebe es auf Beamtenebene nicht. Seit Wochen arbeite die Polizei grenzüberschreitend "Hand in Hand", sagte Polizeisprecher David Furtner. (APA, 27.10.2015)