Bild nicht mehr verfügbar.

Alternativen zur Abschottung dringend gesucht: schlafende Flüchtlinge am ungarischen Grenzzaun zu Serbien Mitte September.

foto: ap/muhammed muheisen

Der slowenische Premier Miro Cerar hat recht: Die Unfähigkeit der EU, mit der starken Fluchtbewegung durch die Staaten Südost- und Mitteleuropas hindurch umzugehen, ist geeignet, den Zerfall der Union auszulösen.

Die Spaltung zumindest ist schon da: Am Samstag trafen in Brüssel nur die Staats- und Regierungschefs jener Staaten zusammen, durch die Abertausende schutzsuchende Menschen entweder derzeit hindurchziehen oder die ihr Ziel sind. Vertreter anderer, nicht an der Westbalkanroute liegender Unionsländer blieben aus.

Hilfe auf Gegenseitigkeit

Dabei wären gerade diese anderen EU-Staaten geeignet, entscheidend zur Lösung der Krise beizutragen. Mehr noch: Sie müssten es tun, wenn ihnen der Zusammenhalt der EU ein Anliegen ist.

Denn es handelt sich bei der Flüchtlingskrise um eine historische Herausforderung für Europa. Und es könnte sich dabei – in die Zukunft gedacht – durchaus um Hilfe auf Gegenseitigkeit handeln: Sollte die Westbalkanroute durch die geplante striktere Außengrenzenabriegelung zwischen der Türkei und der Union mittelfristig abgeschnitten werden, ohne dass die Asylwerber-Abschottungspolitik aufgegeben und legale Einreisemöglichkeiten eröffnet werden, werden sich die Kriegsflüchtlinge andere, noch beschwerlichere Wege nach Europa bahnen.

Dabei könnte es sich zum Beispiel um eine Route über Russland nach Skandinavien und weiter in die Niederlande und nach Deutschland handeln.

Reichtum, Strukturen, Erfahrung mit Migration

Wie könnte der Beitrag der –euphemistisch gesagt – Rest-EU aussehen? Konkret sind vor allem Mitgliedstaaten gefordert, die den Reichtum, die Strukturen und die gesamtgesellschaftlichen Erfahrungen zur Aufnahme beträchtlicher Flüchtlingszahlen besitzen – nicht die in dieser Hinsicht unerfahrenen und völlig ablehnenden Visegrád-Staaten.

Es handelt sich zum Beispiel um Frankreich, Großbritannien, Irland, die Niederlande, Dänemark oder Belgien: Länder, die in Sachen Krisenbewältigung bisher nur im Rahmen der völlig unzureichenden – und laut STANDARD-Bericht vorerst auch völlig zahnlosen – Quoteneinigung für 160.000 Flüchtlingsübersiedlungen aus Italien und Griechenland vorkamen.

Resettlement gegen Orbànisierung

Darüber hinaus wäre aber auch dringend mehr als die bisher zugesagte Mithilfe der USA und Kanadas sowie anderer traditionell aufnahmebereiter Staaten, etwa in Südamerika, nötig. Besteht dort ernsthaftes Interesse daran, zu verhindern, dass Teile Europas in nationalistisch agierende Einzelstaaten nach dem Orbàn-Modell zerfallen – oder sich mit Mühen davon distanzieren –, sollten von dort noch großzügigere Resettlement-Angebote kommen.

Also Angebote, viele Tausende von der Uno als schutzbedürftig erklärte Flüchtlinge auf freiwilliger Basis anzusiedeln.

Gegen den herrschenden Druck

In all diesen mit Migration vertrauten Staaten sollte den Schutzsuchenden die Aufnahme angeboten werden, sodass diese Länder eine Alternative zum "gelobten Land" Deutschland darstellen. Die Angebotsform, also das Willkommenheißen, erscheint dabei zentral: Weil das ein wenig von dem derzeit herrschenden wahnsinnigen Druck aus der Situation nehmen könnte.

Denn es spricht einiges dafür, dass der seit Wochen anhaltende Run auf Deutschland beträchtlich der (nicht unrealistischen) Einschätzung der Flüchtlinge geschuldet ist, man müsse es "jetzt oder nie" probieren, denn mit der relativen Offenheit der europäischen Grenzen werde es bald vorbei sein.

Die Furcht, eine möglicherweise nie wiederkehrende Chance zu verpassen, könnte auf die Kriegs- und Elendsflüchtlinge anziehender wirken als sämtliche anderen sogenannten Pull-Faktoren – etwa halbfalsche, idealisierende "Bilder von Europa".