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Hugo Portisch.

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"Aufregend war es immer", Euro 24,95, 384 Seiten, Verlag Ecowin, Salzburg.

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Dass Hugo Portisch seit Jahrzehnten die Welt und Österreich unnachahmlich erklären kann – im TV und im Print -, ist eine Binsenweisheit. Dass er einige Male österreichische Grundsatzpolitik mitgestaltet hat, ist viel weniger bekannt.

In seinem Erinnerungsband Aufregend war es immer schildert er, diskret, aber unmissverständlich, wie er den damaligen Kanzler Franz Vranitzky dazu brachte, als erster österreichischer Regierungschef eine offizielle Erklärung über die Mitschuld der Österreicher an den NS-Verbrechen abzugeben. Nämlich am 8. Juli 1991 im Parlament.

Jüngere mögen vielleicht meinen, das wäre doch ohnehin selbstverständlich gewesen und sicher schon unmittelbar nach der Befreiung durch die Alliierten 1945 geschehen. Irrtum. Alle Nachkriegsregierungen bis Vranitzky klammerten sich an die sogenannte Opfertheorie, wonach der Staat Österreich das erste Opfer der Nazi-Aggression gewesen sei.

Der Staat ja (wobei man auch hier fragen kann, ob die damalige Staatsführung dem nicht Vorschub geleistet hat). Aber die zahllosen Österreicher, die den Einmarsch der deutschen Wehrmacht und Hitlers "Anschluss" bejubelten und sich dann später an großen und kleineren Verbrechen beteiligten, die wurden von der Opfertheorie salviert.

Regierungsoffizielle Erklärung fehlte

Vranitzky war ein ausgesprochener Anti-Nazi. Aber was trotzdem fehlte, war eine regierungsoffizielle Erklärung. Oder wie Portisch es aus eigenem Erleben im Ausland formuliert: "Die Leute wollten endlich hören, dass wir offiziell sagen: Es tut uns leid."

Diesen Gedanken formulierte Portisch auch in einem Interview im Juni 1991 im ORF, anlässlich von Jörg Haiders Sager von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich". So etwas passiere eben immer wieder, weil die Opfertheorie noch gelte. Daraufhin schrieb Vranitzky einen Brief an Portisch, wo er darauf hinwies, dass er sich doch häufig klar gegen alle NS-Nostalgie ausgesprochen habe. Portisch erwiderte mit einem längeren Memorandum: Es bestehe "ein wichtiger Unterschied zwischen Erklärungen, die ein einzelner Politiker, und wenn es auch der Regierungschef ist, abgibt, und einer Regierungserklärung, also im Namen der Regierung für das ganze Land abgegebenen (...) Stellungnahme, mit der auch die Richtlinien für prinzipielle weitere Behandlung aller dadurch berührten Fragen festgelegt werden".

Vranitzky folgte dem und einem weiteren Vorschlag von Portisch, nämlich diverse materielle Maßnahmen für die NS-Opfer zu setzen. "Es war eine große Wende in der Selbsteinschätzung Österreichs und in der Einschätzung Österreichs durch die Welt, schreibt Portisch. Und er hatte dazu beigetragen.

Populärer Anti-Nazi

Hugo Portisch hatte eine nicht allzu häufig anzutreffende Eigenschaft: Er war zugleich ungeheuer populär und ein deklarierter Anti-Nazi. Das war/ist nicht selbstverständlich. Jahrzehntelang tobte die Auseinandersetzung um das Verhältnis zur NS-Zeit und die Verstrickung der Österreicher in diese. Manchmal intensiver, manchmal weniger akut, aber das Thema war immer da. Durch all die NS-Affairen: Borodajkewitsch, Peter/Kreisky/Wiesenthal, Waldheim. Die Kronen Zeitung unter Hans Dichand nahm in der Affäre Friedrich Peter und vor allem in jener um Kurt Waldheim Haltungen ein, die heute undenkbar erscheinen. Es gab Umfragen, wonach über 20 Prozent einem Juden nicht die Hand geben wollten.

Portisch vertrat einen offenen Antinationalsozialismus, aber es gelang ihm, einen Tonfall zu finden, der auch die Verdränger und Verleugner erreichte. Auch weil er Verständnis für die Zwänge und Versuchungen der NS-Diktatur vor allem für die einfachen Menschen zeigte. Dazu ein Stil, der manchmal als "zu populär" belächelt wurde, aber das Geheimnis seiner ungeheuren Publikumserfolge war (und ist). Auch die Rechten im Lande ließen ihm wegen seines Stils die Liberalität durchgehen.

Bei anderer Gelegenheit half er mit, eine politische Rolle für Otto Habsburg in Österreich zu verhindern, weil ihm die Ideen des Kaisersohnes gar zu undemokratisch erschienen.

Reisen

In seinem Memoirenband wendet er auch viel Platz auf für seine Reisen in die Sowjetunion, China, die USA. Wo heute Pauschaltouristen einander auf die Zehen treten, war er in den 1950ern und 1960ern ein Pionier. Er eröffnete damit dem kleinen, an der Nord-, Ost- und einem Teil der Südgrenze von Stacheldraht umgebenen, ziemlich provinziellen Österreich den Blick in die Welt. Auch das war eine "volkspädagogische" Großtat.

Und die Zukunft? Portisch entwirft in seinem Buch die Idee eines europäischen Marshallplans für Afrika. Denn: Der Krieg in Syrien und im Irak wird eines Tages vorbei sein, viele der Flüchtlinge werden wieder heimkehren können. Aber Afrika und die Afrikaner bleiben, und sie werden immer mehr. Sie werden weiterhin versuchen, nach Europa zu kommen. Die EU müsste daher einen großen Rettungs- plan erarbeiten: "Wer Europa retten will, muss Afrika retten." (Hans Rauscher, Album, 25.10.2015)