Bisher war es nur ein böser Verdacht, den Politiker der Mitte stets von sich gewiesen haben. Doch nun sprach Johanna Mikl-Leitner das Ziel offen aus: "Wichtig ist es" – die Innenministerin zelebrierte die Worte regelrecht -, "dass wir aus Europa eine Festung bauen."
Aufgerüttelt haben die ÖVP-Politikerin jene Bilder, die der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer als Chaos beschrieb: Tausende Flüchtlinge überquerten bei Spielfeld die Grenze, hunderte drängten durch eine Absperrung und marschierten auf eigene Faust ins Land.
Gewaltakte hat die Polizei bis Freitagnachmittag keine registriert, und dennoch: Auf Dauer – da hat Schützenhöfer schon recht – kann es so nicht weitergehen. Unkontrollierte Einreise verunmöglicht nicht nur eine sinnvolle Asylpolitik, sondern befeuert auch die Angst, mitsamt des ohnmächtigen Staates überrannt zu werden. Hilfsbereitschaft kann da rasch in Feindseligkeit kippen.
Im Grundgedanken richtig ist auch das Konzept, für das Mikl-Leitner in der EU wirbt. Es braucht ein gemeinsames Regime, um Asylwerber auf alle Staaten zu verteilen. Dazu gehören gesicherte EU-Außengrenzen, aber auch die Chance auf faire Verfahren, menschenwürdige Versorgung und offene Türen für jene, die Schutz vor Verfolgung suchen.
Die "Festung Europa" suggeriert jedoch ein ganz anderes Bild: Wir bauen eine Mauer, ziehen die Zugbrücke hoch – und schütten wenn nötig noch einen Kübel Pech hinunter. Kein Wunder, dass es die Nationalsozialisten waren, die diesen Begriff einst geprägt haben.
Selbst wenn man Mikl-Leitner das historische Unbewusstsein nachsieht: Sie ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass Worte in der Politik Waffen sein können. Wer vor Millionenpublikum nach dem Festungsbau ruft, nimmt in Kauf, dass immer mehr Leute Flüchtlinge als Feinde ansehen, die man mit Gewalt abwehren müsse. Die Innenministerin leistet damit ebenso der Eskalation Vorschub wie ihr Parteifreund Schützenhöfer, wenn er nach dramatischen Vokabeln wie "Explosion" greift. Ja, die Situation in Spielfeld ist schwierig. Doch ein guter Landeshauptmann sollte, selbst wenn er um Hilfe der Regierung buhlt, Nerven bewahren und Gemüter beruhigen – und nicht "Plünderungen" beschwören, die es nicht gab.
Auch die Dimensionen des Andrangs rechtfertigen keinen Alarmismus. Jene 80.000 Asylanträge, mit denen Österreich im laufenden Jahr rechnet, sind eine Herausforderung, aber für ein reiches Land mit acht Millionen Einwohnern keine Bedrohung. Ärmere Staaten wie der Libanon oder die Türkei nehmen ganz anderen Massen auf.
Allerdings müsste die Innenministerin schon ihre Hausaufgaben erledigen – was sie in Spielfeld ebenso wenig tut wie zuvor im Flüchtlingslager von Traiskirchen. Wenn etwa nur eine Handvoll Busse bereitsteht, um tausende ausgelaugte und entnervte Asylwerber weiterzutransportieren, dann schürt Mikl-Leitners Politik in zweifacher Hinsicht Spannungen: in Worten und in Taten. (Gerald John, 23.10.2015)