Anna Brull (Rosina), Tansel Akzeybek (Almaviva).

Foto: Kmetitsch

Graz – Eine "Maschine der Verrücktheit" sieht Robin Engelen im Barbier von Sevilla am Werk. Der neue Erste Kapellmeister der Oper Graz ließ am Premierenabend diese Maschine mit dem Orchester imposant anrollen: mit beherzten Tempi einschließlich flexiblem Feintuning, einem meist gestochen scharfen Klangbild, minuziös auf Farbwirkungen und Kontraste abgestimmt. Und mit einem Zug zum oberflächlichen Plapperton, der ja der Musik Rossinis auch anhaftet.

Dennoch: Der Unterschied zwischen dem absichtlich Floskelhaften und seiner Überspitzung, die vielen witzigen Wendungen, die der Partitur gerade ihr Profil verleihen, hätten deutlicher werden können. Die orchestrale Umsetzung war freilich insofern stimmig, als sie auch der Akzentsetzung auf der Bühne entsprach. Bei der Inszenierung von Axel Köhler ist deutlich zu verspüren, dass seine reichen Erfahrungen als Sänger mitspielen, auch wenn der Countertenor seit nunmehr 15 Jahren Regie führt: Er bietet hier pralles Bühnenleben von einiger Hyperaktivität, die sich in die musikalischen Verrücktheiten einklinkt.

Holzhammermethode

Schon zur Ouvertüre schwirrt der Chor wie ein Schwarm Insekten herum, und ähnlich surreale Bilder ziehen sich durch den Abend. Das Setting ist ebenso klar wie originell: Da Figaro nun einmal Friseur ist, stellt das Haus des Doktor Bartolo einen Lockenkopf dar, das Interieur ein Gesicht (Ausstattung: Okarina Peter und Timo Dentler). Vollends haarig wird die Sache, wenn der Barbier mit den Vorbereitungen für seine Intrigenspiele auch die Frisuren seiner Spielfiguren ausrichtet – mit dem kahlen Schädel als Running Gag, womit Klamauk und Gemeinplatz Tür und Tor geöffnet sind.

Das funktioniert, aber es funktioniert als Holzhammermethode, zu der übrigens auch passt, dass im Finale des ersten Akts, wo davon die Rede ist, es fühle sich so an, als ob es auf den Kopf hämmere, dies wortwörtlich auf dem Dach von Bartolos Haus-Kopf umgesetzt wird. Den Grafen Almaviva von seiner lächerlichen Seite zu zeigen ist nicht neu. Bei Köhler wird er vollends zur Witzfigur – eine Rolle, der sich Tansel Akzeybek entgegenstemmt: mit nicht allzu großem, jugendlichem, aber dennoch kräftigem und geschmeidigem Tenor.

Als seine Rosina ist Anna Brull mit allen Koloraturwassern gewaschen und verfügt über brillante Fähigkeiten, die wesentlich farbenreicher und flexibler sind als das grelle Mienenspiel, das nicht nur ihr vorgeschrieben wurde. Die Annäherung zwischen den Liebenden hätte das Publikum auch ohne die explizite Koitusszene während der Unterrichtsszene verstanden – ebenso wie die Beweggründe von Bartolo auch ohne seine ausdrückliche Sexualisierung hinreichend klar gewesen wären.

Lehrer als Klavier

Wilfried Zelinka punktet als zwischen Frankenstein, Körperwelten und Slapstick angesiedelter Doktor mit polternder Virilität – und seine "Arie" nach dem Gesangsunterricht des Mündels ist, nachdem er sie in Countertenor-Lage ansiedelt, ein Schrei, der wie noch so manches zum Schenkelklopfen animiert. Etwa der als wandelndes Klavier daherkommende Musiklehrer Basilio (Peter Kellner) oder Figaro selbst, dessen Haarpracht mitunter mit integrierter Schere daherkommt.

Isaac Galán ist eine quirlig vorpreschende Titelfigur mit schönen stimmlichen Möglichkeiten, die er oft genug zum kernigen Orgeln aktiviert. Als personifizierte Hyperaktivität ist er das zentrale Rädchen der Wahnsinnsmaschine, der man nicht absprechen kann, dass sie wie geschmiert läuft. Mitunter hätte ihr aber ein kleiner Haircut nicht geschadet. (Daniel Ender, 24.10.2015)