Steht die Lösung gesellschaftlicher Probleme an, ergreifen für gewöhnlich "Experten" das Wort. Bei der drängenden Frage der Unterbringung und Wohnungsversorgung von Geflüchteten sollten dies Architekten und Raumplaner sein. Meint man. Tatsächlich ist es in dieser Ecke gespenstisch stumm. Jedenfalls in Österreich. Ein Blick über die wieder empfindlich spürbaren Grenzen nach Deutschland zeigt ein anderes Bild. Die Profession veranstaltet hier allerorts Arbeitsgruppen, Workshops und Podiumsdiskussionen.

Kommen wir zurück nach Wien. Die Bürger wollen hier wissen, welche Lösungen und Konzepte in den Planungsabteilungen der Stadt Wien ausgearbeitet werden. Sie erwarten vorausschauende Gestaltung. Sie erwarten konkrete Vorschläge, wie Menschen, die aus Not und Verzweiflung aufgebrochen sind, um bei uns sicheren Boden unter den Füßen zu haben, mittel- und langfristig in eine offene Gemeinschaft integriert werden können. Wie die Konkurrenz zwischen sozial Schwachen und Flüchtlingen auf dem Wohnungsmarkt vermieden werden kann. Sie wollen informiert, aber auch in den Diskussionsprozess eingebunden werden. Wo? Zum Beispiel in jenen Institutionen, die sich die Vermittlung von Baukultur auf die Fahnen schreiben. Das Stich-wort für den nächsten Punkt.

Die Ausstellungshäuser. Im Moment reine Orte des Kulturkonsums, die einen lebendigen Austausch mit der Bevölkerung über flüchtlings- und wohnungspolitische Fragen leidlich vermissen lassen. Die Leiter des Architekturzentrum Wien oder des Hauses der Architektur in Graz mögen sich am Haus der Architektur Köln (hdak) inspirieren. Hier gibt es wöchentlich "eine Stunde Baukultur". Diese wird bei den Nachbarn weiter gefasst. Auch das öffentliche Diskutieren von Problemen ist Teil davon, wie etwa die Reihe "Flüchtlinge in der Stadt" zeigt, konzipiert von einem Architekten und Stadtplaner.

Während der Bund Deutscher Architekten (BDA) seine Mitglieder mobilisiert und öffentlich klar Position bezieht, hat die österreichische Architektenkammer es bislang verabsäumt, die Wohnversorgung und Integration von Geflüchteten als ihre Aufgabe zu reklamieren.

Jetzt wäre die Gelegenheit, über Notunterkünfte hinaus nicht nur Ideen für die Aktivierung von Leerständen beizusteuern, sondern vor allem auch – sollen negative Folgen für das Gemeinwesen so gering wie möglich gehalten werden – Reformen für einen neuen sozialen Wohnbau für alle (!) anzustoßen.

Beitrag zur Integration

Aber auch von den Universitäten darf ein gesellschaftspolitischer Beitrag erwartet werden. Studierende an Österreichs Architekturschulen haben mit der Einrichtung von Notschlafstellen zweifellos bewundernswerte Hilfsbereitschaft bezeugt. Allerdings liegt es an den Lehrenden, das Engagement auf eine professionelle Ebene zu heben. Das bedeutet, die anstehenden Aufgaben in Lehre und Forschung zu verankern und die angehenden Planer und Planerinnen mit zivilgesellschaftlichen Kompetenzen auszurüsten.

Während deutsche Architekturfakultäten bereits fleißig die einschlägigen Entwurfsergebnisse ihrer Studierenden publizieren, sieht es hierzulande noch dürftig aus. Das bestätigte mir auch ein Gespräch mit einer Kollegin aus Hannover. Sie hat vor kurzem die Websites der österreichischen Architekturfakultäten nach Entwurfsprogrammen zum Flüchtlingsthema durchsucht. Erfolglos. Ihren Eindruck hat sie mit der rhetorischen Frage "Schlafen die da alle?" zusammengefasst. Eine Wahrnehmung, die zu denken geben sollte.

Die Integration geflüchteter Menschen ist eine Frage, die nicht nur von Politikern, sondern auch maßgeblich im Städtebau und durch Architektur entschieden wird. Es ist eine drängende Frage, die uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird. Allerhöchste Eisenbahn also, dass Architekten und Raumplaner aufwachen und mit Vorschlägen Stellung beziehen. Der Blick über den Tellerrand, wenigstens nach Deutschland, kann dabei als Anregung dienen. (Anita Aigner, 23.10.2015)