Die ehrende Rede auf den Schriftsteller ist das, was in der Gastronomie das Amuse-Gueule genannt wird. Ein Gruß aus der Küche, viel zu klein, um satt zu werden, nicht das, was man sich bestellt hatte, nicht immer besonders schlecht, aber nie genug, um zufrieden zu sein. Interessiert kostet man die ungewöhnliche Speise, will den geschenkten Gruß nicht beanstanden und freut sich nun umso mehr auf das in Bezug auf Menge, Qualität und Quantität richtige Essen. Man könnte auch darauf verzichten und hätte dennoch das Gefühl, dass einem etwas fehlen würde. Der Sinn der ehrenden Rede ist es, genau wie jede andere ehrende Rede zu sein und dennoch irgendwie anders. Die Konventionen einzuhalten, zu denen gehört, Unvergleichlichkeit zu imitieren.

Irrwitzig, dass ich diese Anfragen bekomme – über Christoph Hein. Künstler sollten Präpositionen nur verwenden, nicht aber im Zusammenhang mit ihnen Verwendung finden. Schließlich habe ich nachgeschaut, und nach allem, was ich weiß, stehe ich doch unter Christoph Hein. Ich stehe sogar in einer streng alphabetischen Liste unter Christoph Hein. Mal ganz abgesehen von all den anderen Listen, in denen ich unter Christoph Hein stehe.

Der Sinn einer ehrenden Rede

Ein portugiesischer Feldherr soll einmal gesagt haben: "Ich hoffe, dass der Feind angesichts der Liste meiner Generale genauso erzittert wie ich." Ich aber hoffe nicht, dass es Ihnen beim Hören meiner Rede genauso schlecht ergeht, wie es mir bei ihrem Verfassen ergangen ist. Denn was ist der Sinn einer ehrenden Rede für einen Künstler? Schon oft haben mich Kollegen aus den bildenden Künsten gebeten, Reden bei ihren Vernissagen zu halten.

"Warum willst du nicht selbst sprechen?", habe ich meinen Freund Georg gefragt. "Ach, ich weiß nicht, was ich da sagen soll. Alles, was ich sagen will, habe ich ja versucht, in die Bilder zu bringen." Recht hat der Mann, dachte ich mir. All diese Meta-Arbeiten, diese Machwerke über Schöpfungen sind, wenn auch beliebt, doch ungeeignet, das Wesen der Kunst besser zu verstehen. Wenn ich der Meinung wäre, Landnahme hätte mir wichtige Hinweise zur Melioration von Rapsfeldern gegeben, wer könnte mir widersprechen? Vielleicht könnte mir auch niemand in meiner Ansicht folgen, das würde doch aber nicht bedeuten, dass sie falsch ist. Interessanterweise könnte mir nicht einmal Christoph Hein widersprechen. Er könnte behaupten, dass es nicht in seiner Absicht gelegen habe, dass er sich mit Melioration gar nicht auskennt, aber was er auch sagte, er könnte sich nicht über die Wirkung seines Werks auf meine Gedanken erheben. Ist nicht alles, was jemand über das Werk eines Künstlers sagt, richtig, solange es nach der Rezeption des Werkes gesagt wird und nur vom Werk ausgehend gesagt wird?

Und so sehr ich hoffe, dass das Werk für sich sprechen soll, hoffe ich, dass ich hier für mich sprechen soll, dass ich der Gruß aus der Küche bin. Nicht, dass die Veranstalter der Meinung sind, wenn wir ohnehin schon das ganze Werk sprechen lassen wollen, dann kann doch auch der Sohn – ein paar Worte sagen. Denn mit schwindender Sehkraft und fortschreitender Glatzenbildung betrachte ich mich natürlich nicht mehr als Werk eines anderen, sondern gehe davon aus, eine eigene Person darzustellen, so lächerlich diese auch sein mag.

"Ach, das ist bestimmt schwer, der Sohn von Christoph Hein zu sein", werde ich oft gefragt. Mir ist in den Jahren nie eine gute Antwort dazu eingefallen, immer noch schaue ich genauso ratlos zurück wie beim ersten Mal, als ich die Frage gehört habe. Natürlich ist es schwer, jemandes Sohn zu sein, aber ich habe mit einer Ausnahme nie empfunden, dass mein Schicksal in dieser Hinsicht besonders schwierig wäre. Diese eine Ausnahme ist die Bitte, über, hinter oder neben meinem Vater zu sprechen. Fast alle diese Anfragen lehnen wir ab, weil sie praktisch nie vom Werk des einen oder gar des anderen ausgehen, sondern uns zu einer Zirkusnummer machen: Die Tanzenden Montanieris – jetzt auch in Ihrer Stadt. Wir haben die Bücher nicht gelesen, aber wir finden toll, dass Sie das machen. Weiter so.

Narreteien durchgehen lassen

Der Raum, in dem der Ruhm der Bücher und mit ihm der Ruhm ihrer Verfasser strahlt, ist klein geworden. Als Sohn einer Fernsehpersönlichkeit oder eines berühmten Fußballers wäre die Bürde des Nachnamens womöglich größer und schwerer zu tragen. Aber die Welt, in der die Bücher lebender deutschsprachiger Autoren unbekannt sind, ist groß.

Was für ein Unsinn, dass sie mich immer wieder fragen, etwas über Christoph Hein zu machen. Stellen Sie sich vor, nur mein Name wäre umgedreht, Hein ist ein norddeutscher Vorname, Jakob kein seltener Nachname. Wäre ich der, der ich bin, nur die Reihenfolge meiner Namen vertauscht, niemand käme auf den Gedanken, mich hier sprechen zu lassen. Sie würden mich von der Bühne zerren, wenn ich überhaupt ins Theater gelassen worden wäre. Herr Jakob sagt etwas über Herrn Hein – wozu das Ganze. Die Gemeinsamkeit zwischen beiden ist doch lediglich, dass beide schreiben. Allerdings bittet man ja auch nicht den Triangelspieler, sich zu Masha Dirrutrievas Interpretationen von Pleyel zu äußern. Vielleicht sollte man Schriftsteller überhaupt bitten, sich nicht mehr über Schriftsteller zu äußern, so wie man Leser auch bitten sollte, sich nicht mehr über Schriftsteller zu äußern. Man sollte Leser und Schriftsteller bitten, sich über Bücher zu äußern, die einen vor allem, indem sie sie schreiben, und die anderen, indem sie diese lesen. Und danach können sich dann Leser und Schriftsteller untereinander und miteinander unterhalten. Und man kann sich nach der Lektüre eines guten Buches über alles unterhalten – über den Herbst, über das Lachen, über Mahlgrade von Mehl, und es wird etwas anderes sein. Aber der Leser sollte nach dem Lesen nicht über den Schriftsteller reden, und der Schriftsteller sollte vor dem Schreiben nicht über den Leser nachdenken. Über ist ein ganz falsches Wort, eine falsche Topografie.

Viele dieser Auffassungen sind von meinem Vater inspiriert, gut, dass ich einmal Gelegenheit habe, über ihn reden zu dürfen. Dabei kommt es wie bei jeder guten Rede vornehmlich darauf an, anlässlich des vorgeblichen Objektes der Rede ausführlich über sich selbst zu reden. Schriftstellerkollegen, die angesichts der niedrigen Qualität meines Schreibens und der Banalität meiner Themen konsterniert sind über jedes einzelne Buch, das Menschen freiwillig von mir lesen, haben bei mir eine Erklärung, auf die sie bei anderen Kollegen nicht kämen, auch wenn diese Kollegen durch die Bank ebenso talentlos und unberechtigt erfolgreich sind wie ich. Klaus Funke aus Dresden schreibt mir beispielsweise: "Ich denke, Sie wissen, dass man Sie nur deshalb respektiert, weil Sie der Sohn eines überragenden Schriftstellers sind, vielleicht lässt man Ihnen deshalb auch Ihre Narreteien durchgehen."

Über Christoph Hein – eigentlich absurd, dass ich diese Anfragen bekomme. Was genau soll ich zu diesem Thema sagen können? Mein Vater ist ja über lange Jahre auch die Person gewesen, die meinen Fernsehkonsum beschränkte und meine Zubettgehzeiten festlegte. Was wäre, wenn ich berichten würde, welche Sorte Butter wir zu Hause aßen, in welchen Pensionen wir den Urlaub verbrachten, Gabel rechts oder links in der Hand? Und wenn ich endlich alles ausgebreitet habe, inwiefern verändert sich dadurch die Literatur von Christoph Hein oder auch nur irgendeine Literatur? "Ich habe die Gedichte von Pablo Neruda immer als kämpferische Lyrik für die Befreiung der unterdrückten Völker gelesen. Aber seit den Berichten von Jakob Hein, die offenlegen, dass Christoph Hein vor allem Rotwein der Marke Egri Bikavér aus dem nordungarischen Eger getrunken hat, muss nicht nur das Schaffen Christoph Heins neu bewertet werden, sondern die Literatur insgesamt, was ein völlig neues Licht auf das Werk des chilenischen Nobelpreisträgers wirft, dessen fälschlich als revolutionär-kämpferisch gedeutete Gedichte nun als Prosaminiaturen zu verstehen sind."

Merkwürdig, dass ich nicht öfter gebeten werde, zu diesem Thema zu sprechen. Im Gegensatz zu den meisten Experten habe ich ja vermutlich fast alles von Christoph Hein gelesen und gesehen. Inszenierungen in Dresden, seltene Sonderdrucke unbekannter Kinderbücher, Gedichte, Romane, Erzählungen. Immerhin mehr als die meisten Experten. Vermutlich liegt es daran, dass mir gewissermaßen das Experteske fehlt. Der Mut zu bewerten, ohne sich zu fragen, ob man verstanden hat. – Wie kann man es zulassen, dass ich über meinen Vater spreche? Es kann sich dabei nur um Sadismus handeln. An ihm, an mir, an Ihnen. Wenn man schon jemanden über ihn sprechen lässt, sollte man doch jemanden finden, der das gut und gern macht. Einen echten Experten, einen mit der berühmten von Sachkenntnis befreiten Urteilsfreude. Wir bekamen einmal eine wissenschaftliche Abhandlung zugeschickt, in der zweifelsfrei bewiesen wurde, dass die Nonne im Ah Q nicht sterben darf. Mit zwingender Logik wurde belegt, dass mein Vater in seinem viel aufgeführten Stück einen Fehler begangen hatte. Wie Vögel nichts von Ornithologen wissen wollen, kann mein Vater nichts mit Menschen anfangen, die über ihn reden wollen.

Ein ganz normaler Vater

Was ist der Sinn der ehrenden Rede auf einen Künstler? Je genauer ich darauf zu schauen versuche, je mehr ich versuche, diesen schwach leuchtenden Stern zu fixieren, desto vollständiger scheint er zu verschwinden. Völlig unsinnig erscheint es mir, denn insbesondere der Schriftsteller hat sich bereits in jahrelanger Arbeit darum bemüht, die Sätze zu formulieren, von denen er sich wünscht, sie formuliert gehabt zu haben. Wie sollte jemand anders nun besser oder auch nur gleich gut ausdrücken können, was der Autor mit seinem Werk zum Ausdruck bringen wollte?

Mein Vater hat nie die Familie um den Feuerschein unseres Kamins versammelt, um aus seinem neuesten Werk für uns zu lesen. Das lag auch daran, dass wir niemals einen Kamin hatten. Wenn ich über Christoph Hein sage, dass er für mich immer ein ganz normaler Vater gewesen ist, dann meine ich das als ein großes Kompliment. Für ihn spricht ansonsten sein Werk. Ich verbleibe mit einem Gruß aus der Küche und wünsche weiter viel Vergnügen beim Hauptgericht. (Jakob Hein, 24.10.2015)