Der Australier David Gameau führt zwei Monate lang eine Zuckerdiät.

Foto: constantin film

Das Ergebnis zeigt der Dokumentarfilm "Voll verzuckert", ab sofort im Kino.

40 Teelöffel, also rund 160 Gramm – so viel Zucker konsumiert der durchschnittliche US-Amerikaner täglich. 40 Teelöffel, so viel Zucker will der Australier Damon Gameau über zwei Monate täglich zu sich nehmen – und so herausfinden, was dieser mit ihm und seinem Körper macht.

Dazu greift er nur auf versteckte Zucker in als gesund beworbenen Produkten zurück: Cerealien, Müsliriegel und Fruchtsäfte – Süßigkeiten, Eis und Cola hingegen sind tabu. Das Ergebnis dieses Selbstversuchs zeigt der unterhaltsame Dokumentarfilm "Voll verzuckert. That Sugar Film" – und ist ähnlich erschütternd wie schon der Film "Super Size Me" (2004), in dem sich ein Amerikaner täglich von XXL-Burgern bei McDonald's ernährt.

Vor seinem Selbstversuch ist Gameau gesund, sportlich und schlank. Zwei Monate später hat er mehr als zehn Kilogramm zugenommen, sieben Prozent mehr Körperfett, deutlich schlechtere Blutwerte und eine ausgeprägte Fettleber. Und das, obwohl er sein Sportprogramm (Kraft und Ausdauer) weiterführt wie zuvor und unverändert maximal 2.300 Kilokalorien täglich – mitunter sogar deutlich weniger – zu sich nimmt. Zusätzlich ist er deutlich ungeduldiger, "braucht" Zucker, um zu funktionieren, und entwickelt sogar Entzugserscheinungen nach dem Stopp seiner Diät.

Unglaubliche Mengen

Im Mittelpunkt des Films steht Gameaus Experiment: Man sieht ihn im Supermarkt, beim Essen und bei regelmäßigen Untersuchungen, die ihm eine immer schlechtere Gesundheit attestieren. Nebenbei erfährt man aber auch einiges über Zucker: etwa dass dieser von Neu-Guinea über Indien erstmals im 12. Jahrhundert in Europa gelandet sei.

Oder dass infolge des ersten Herzinfarkts von US-Präsident Dwight D. Eisenhower im Jahr 1955 eine wissenschaftliche Debatte über die stark gestiegene Zahl von Herz-Kreislauf-Todesfällen entbrannte – und letztendlich das Fett dafür verantwortlich gemacht, Zucker hingegen als harmlos eingestuft und von der Wissenschaft freigesprochen wurde. Ein Irrtum, den die Zuckerindustrie miteingefädelt hat, wie von Gameau befragte Experten betonen.

"Wir haben die Ansicht verinnerlicht, fettarm sei gesund. Man muss also das Fett loswerden, dachte man in der Branche. Wir entfernen Fett aus gesunden Produkten, müssen aber dann die Kalorien ersetzen. Es soll sich im Mund richtig anfühlen und so schmecken wie mit Fett. Das geht am besten mit Zucker", sagt Buchautor Gary Taubes, einer von vielen von Gameau befragten Experten im Film. Zu diesem Zweck erfand Lebensmitteltechniker Howard Moskovitz, er kommt ebenfalls zu Wort, eigens den "Glückspunkt" – jene Maximalmenge zugesetzten Zuckers, die gerade noch als schmackhaft empfunden wird.

Erschreckende Folgen

Gameau ist Australier – was liegt also näher als ein Besuch bei den dortigen Aborigines, die sich jahrtausendelang praktisch ohne Zucker ernährt haben. Sie waren gesund, doch das änderte sich rapide, als Supermärkte und amerikanische Softdrinks Einzug hielten – und mit ihnen die modernen Zivilisationserkrankungen etwa des Herz-Kreislauf-Systems. Wegen der vielen frühzeitigen Todesfälle musste ein eigener Friedhof eröffnet werden, wie ein Aborigine-Ältester eindringlich erklärt. Erst ein Regierungsprogramm für bewusste Ernährung konnte wieder gegensteuern.

Um nichts weniger schockierend ist Gameaus Besuch bei Menschen, die Zucker im extremen Übermaß gewohnt sind: In Barbourville, Kentucky hinterließ der Cola-Krieg der 1970er-Jahre die deutlichsten Spuren. Praktisch jeder trinkt hier "Mountain Dew", eine Limonade von Pepsi, die noch mehr Zucker und Koffein als normales Cola enthält – selbst Kleinkindern wird es hier schon im Fläschchen verabreicht, heißt es.

Mit fatalen Folgen: Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind hier weit verbreitet, insbesondere aber Karies. Am augenscheinlichsten wird das am Gebiss des 17-jährigen Larry, dem noch die letzten Zähne wegen chronischer Entzündung und fortgeschrittener Karies gezogen werden müssen – vor laufender Kamera, die den Zahnarztbesuch aus nächster Nähe viel zu deutlich zeigt. "Mountain Dew" will der Teenager übrigens weiterhin trinken.

Kein amerikanisches Problem

Wer meint, übertriebener Zuckerkonsum sei ein ausschließlich amerikanisches Problem, der irrt: In Deutschland werden 131 Gramm pro Kopf und Tag verzehrt. Anders als in "Super Size Me" sind die im Film konsumierten Mengen also tatsächlich aus dem Leben gegriffen – und die Folgen umso erschreckender.

"Voll verzuckert" ist gut recherchiert, präsentiert die Argumente der Gegenseite und lässt auch einen Vertreter der Industrie zu Wort kommen. Ausgewogenheit gelingt dem Film dennoch nicht, das ist aber auch gar nicht sein Ziel. Die Botschaft lautet "Zucker ist böse" – und kommt an, auch wenn sie bisweilen überstrapaziert wird. Sehenswert bleibt der Film trotzdem. (Florian Bayer, 30.10.2015)